- PRODUKTBEWERTUNG • CHEMIKALIENMANAGEMENT
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Ersatz oder Ergänzung? Schnittstellen zwischen REACH und produktbezogenen Regelungen am Beispiel von Bauprodukten
Environmental Sciences Europe volume 22, pages 36–45 (2010)
Zusammenfassung
Hintergrund und ZielSeit Juni 2007 ist in der EU die neue europäische Chemikalienverordnung REACH gültig. Wesentlicher Inhalt der neuen Regelung ist die Einführung eines einheitlichen Systems zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien. Die Hersteller/Importeure von Chemikalien müssen wesentliche Angaben zu den inhärenten Stoffeigenschaften vorlegen und die Bedingungen für eine sichere Verwendung der Stoffe über den gesamten Lebenszyklus nennen, d. h. für die Herstellung, Verarbeitung, Nutzung und Entsorgung der Stoffe. Damit birgt REACH das Potenzial von Schnittstellen zu produktbezogenen Regelungen, sofern bei diesen ebenfalls eine Bewertung der enthaltenen oder emittierten Chemikalien erfolgt.
Material und MethodenFür verschiedene Regelungen aus dem Bereich der Bauprodukte ist in der hier vorgelegten Arbeit geprüft worden, in welchen Themenfeldern Schnittstellen zwischen REACH und Produktbewertungen existieren. Schnittstellen bezeichnen hier die Überschneidungen und Unterschiede in den Regelungsbereichen sowie potenziell nutzbare Informationen und Anregungen.
Ergebnisse Insgesamt konnten acht Schnittstellen identifiziert werden, bei denen ein verstärkter Austausch zwischen den Regelungen sinnvoll ist: die Nutzung neuer Informationen über Stoffeigenschaften (z. B. aus der Stoffregistrierung), Expositionsszenarien, Bezugswerte zur Bewertung von Stoffen (z. B. PNECs und DNELs), Schutzniveaus, Möglichkeiten zur Gruppierung von Stoffen und zur Verringerung des Untersuchungsumfanges sowie die Qualitätssicherung bei der Umsetzung der Regelungen.
DiskussionDie Analyse der betrachteten Regelungen zeigt, dass eine vollständige Integration der bestehenden Regelungen in REACH nicht möglich ist oder deren Zielen zum Teil widersprechen würde. Die Regelungen ergänzen sich vielmehr. Sie setzen zudem unterschiedliche Schwerpunkte hinsichtlich der betrachteten Abschnitte im Lebenszyklus der Stoffe bzw. Produkte.
Schlussfolgerungen, Empfehlungen und PerspektivenREACH wird für die stärker produktbezogenen Regelungen in Zukunft wichtige stoffbezogene Informationen liefern, die so bisher noch nicht verfügbar waren. Gleichzeitig wird die Erfüllung der REACH-Aufgaben im Rahmen der Registrierung und Zulassung erleichtert, wenn vorhandenes Wissen aus anderen produktbezogenen Regelungen genutzt wird. Zur Nutzung der bestehenden Überschneidungen der Regelungen ist eine ausreichende „Schnittstellenkompetenz“ bei Unternehmen und Behörden erforderlich.
1 Problemstellung
Im Juni 2007 ist die REACH-Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (EG Nr. 1907/2006) als zentraler Baustein einer neuen europäischen Chemikalienpolitik in Kraft getreten (weiterführende Informationen zu REACH siehe http://www.reach-info.de). Durch REACH werden neue Informationen zu den Eigenschaften von Stoffen, ihren Wirkungen auf Mensch und Umwelt und zu ihrer sicheren Verwendung verfügbar. Zudem wird der schrittweise Ersatz besonders besorgniserregender Chemikalien angestrebt.
REACH definiert für Hersteller und Importeure, Formulierer und Anwender neue Aufgaben – unter anderem in den Bereichen der Bewertung von Stoffen, Gemischen sowie Erzeugnissen und ihren Anwendungen. Vergleichbare Bewertungen fordern auch andere, bereits bestehende europäische und nationale Gesetze, sowie freiwillige Industrie-Vereinbarungen und Produktkennzeichnungen, sodass es zu „Schnittstellen“ mit REACH kommt. Als Schnittstellen werden hier Überschneidungen und Unterschiede in den Regelungsbereichen, darüber hinaus Informationen und Anregungen innerhalb einer Regelung bezeichnet, die in anderen Regelungen genutzt werden könnten. In nationalen und europäischen Untersuchungen ist wiederholt deutlich geworden, dass gerade hinsichtlich der Stoff- und Expositionsbewertung solche Schnittstellen bestehen (z. B. Rheinberger und Bunke 2007; Arcadis et al. 2007; CEPMC 2008; Jepsen et al. 2008; UBA 2009). Auch auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes ist auf die Möglichkeit der Nutzung bestehender Expositionsdaten und Kenntnisse zur sicheren Verwendung von Stoffen hingewiesen worden (Rühl und Kleine 2008).
Beispiele für produktbezogene Regelungen, die Schnittstellen mit REACH haben, sind die Richtlinie zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (RoHS-RL), die Bauproduktenrichtlinie (BPR) oder Umweltzeichen wie der „Blaue Engel“. Der Begriff „Produkt“ ist in den Regelungen nicht einheitlich definiert. In der Regel – auch in dieser Veröffentlichung – wird er als Oberbegriff für Gemische und Erzeugnisse benutzt, die an private oder gewerbliche Endverbraucher abgegeben werden (in Einzelfällen fallen auch reine Stoffe unter diesen Produktbegriffe, etwa Lösemittel). In REACH wird der Begriff Produkt nicht verwendet. Hier wird streng unterschieden zwischen Stoffen, Gemischen und Erzeugnissen – und den daraus resultierenden, unterschiedlichen Pflichten. In REACH (Art. 3 Nr. 2–3) wird definiert: Ein Gemisch ist ein Gemenge, ein Gemisch oder eine Lösung, die aus zwei oder mehreren Stoffen besteht. Ein Erzeugnis ist ein Gegenstand, der bei der Herstellung eine spezifische Form, Oberfläche oder Gestalt erhält, die in größerem Maße als die chemische Zusammensetzung seine Funktion bestimmt.
Für Stoffe mit einer Jahresproduktionsmenge ab einer Tonne pro Hersteller/Importeur legt REACH eine grundsätzliche Registrierungspflicht fest. Bei Stoffen ab einer Jahresproduktionsmenge von zehn Tonnen wird im Rahmen der Registrierung auch eine Bewertung der möglichen Auswirkungen des Stoffes auf Umwelt und Gesundheit durchgeführt (Stoffsicherheitsbeurteilung). Dabei sollen neben den Stoffeigenschaften die Verwendungen des Stoffes über den ganzen Lebensweg – also auch in Erzeugnissen – beurteilt und die sicheren Verwendungen in sogenannten Expositionsszenarien beschrieben werden. Die Registrierungspflicht gilt sowohl für den Stoff als solchen als auch für den Stoff in Gemischen.
Verglichen mit den Daten, die im Rahmen der Registrierung von Stoffen und von Stoffen in Gemischen erhoben werden, bestehen für Stoffe in Erzeugnissen nur eingeschränkte Registrierungspflichten (REACH Art. 7). Eine allgemeine Registrierungspflicht besteht nur für Stoffe, die aus Erzeugnissen beabsichtigt freigesetzt werden (dies ist nicht bei sehr vielen Stoffen der Fall) – und auch nur dann, wenn diese Verwendung noch nicht von einen anderen Hersteller oder Importeur registriert wurde (was bei beabsichtigt freigesetzten Stoffen unwahrscheinlich ist). Weiterhin besteht unter bestimmten Bedingungen eine Notifizierungspflicht für besonders besorgniserregende Stoffe (REACH Art. 7 Nr. 2–4, 6). Aus Artikel 7.5 kann sich unter besonderen Bedingungen auch eine Registrierungspflicht für Stoffe ergeben, die unbeabsichtigt aus Erzeugnissen freigesetzt werden.
In der Nutzung bestehender stoff- und produktbezogener Kenntnisse aus anderen Regelungsbereichen liegt ein erhebliches Potenzial, um den mit REACH verbundenen Bearbeitungsaufwand zu verringern. Aus inhaltlichen Überschneidungen ergibt sich die Möglichkeit, das vorhandene Wissen und das durch REACH in Zukunft neu verfügbare Wissen gemeinsam zu nutzen. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass es nicht nur Synergien gibt, sondern auch Abstimmungsbedarf zwischen den Regelungen und unterschiedliche Zielsetzungen.
Diese Schnittstellen zu anderen Regelungsbereichen wurden bisher nicht systematisch erfasst und ausgewertet. In dieser Veröffentlichung werden die für die Bewertung von Produkten wichtigsten Schnittstellen zwischen REACH und fünf Regelungen aus dem Bereich der Bauprodukte vorgestellt und anhand von ebenfalls fünf Produktbeispielen vertieft. Es werden Empfehlungen zur Nutzung und Ausgestaltung dieser Schnittstellen abgeleitet (für weitere Details hierzu siehe Bericht zum Forschungsprojekt FKZ 206 67 460/04 des Umweltbundesamtes (Bunke et al. 2008).
2 Ausgewählte produktbezogene Regelungen und Produktbeispiele
Es gibt eine Vielzahl nationaler und europäischer Regelungen, die sich auf „Produkte“ beziehen. Bei diesen Regelungen kommt Fragen der Bewertung von Gemischen oder Erzeugnissen, bezogen auf den Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutz, eine bedeutende Rolle zu. Als wichtige Europäische Regelungen sind hier die Bauproduktenrichtlinie (BPR-RL 89/106/EWG), die Richtlinie über Altfahrzeuge (ELV-RL 2000/53/EG), die Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit (2001/95), die Richtlinie zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikprodukten (ROHS-RL 2002/95/EG), die Richtlinie über Elektro- und Elektronikaltgeräte (WEEE-RL 2002/96/EG) und die Richtlinie über die Begrenzung der Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen aus Farben und Lacken (Decopaint-RL 2004/42/EG) zu nennen. Die Darstellung der Schnittstellen dieser Regelungen mit REACH finden sich ausführlich in Bunke et al. (2008).
In die folgende, detaillierte Analyse der Schnittstellen mit REACH wurden nur die Regelungen aus dem Bereich der Bauprodukte einbezogen. Diese wurden um wichtige nationale Regelungen ergänzt: die Grundsätze des Deutschen Instituts für Bautechnik zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten im Innenräumen (DIBt 2008b) und zur Bewertung der Auswirkungen von Bauprodukten auf Boden und Grundwasser (DIBt 2008a) sowie das Umweltzeichen „Blauer Engel“.
Die wesentlichen Merkmale dieser Regelungen für Bauprodukte sind die folgenden:
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Das Umweltzeichen „Blauer Engel“ ist ein freiwilliges nationales Kennzeichnungssystem, um diejenigen Produkte einer Produktgruppe herauszuheben, die besonders umweltgerechte Eigenschaften haben. Dabei geht der gesamte Lebenszyklus in die Produktbewertung ein. Die Anforderungen an die verwendeten oder emittierten Chemikalien gehen in der Regel über die gesetzlichen Anforderungen hinaus.
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Die Bauproduktenrichtlinie regelt das Inverkehrbringen von Bauprodukten in der EU und sieht vor, dass Anforderungen an Bauprodukte in europäischen Normen und Zulassungen harmonisiert werden. Die Harmonisierung der Rechtsvorschriften bezieht sich unter anderem auf die Anforderung „Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz“. Hierzu werden zurzeit europäische Prüfvorschriften für die Emissionen von gefährlichen Stoffen aus Bauprodukten in die Luft bzw. ins Wasser entwickelt und, spezifisch für einzelne Produktgruppen, die zu prüfenden Stoffe festgelegt. Die abschließende Bewertung der Bauprodukte soll dann auf nationaler Ebene mithilfe von Freisetzungsszenarien und von Referenzwerten, die in den verschiedenen Umweltmedien einzuhalten sind, erfolgen. Es wird ausschließlich die Nutzungsphase der Bauprodukte bewertet (weiterführende Informationen zur Bauproduktenrichtlinie siehe www.umweltbundesamt.de/bauprodukte/eg-bauproduktenrichtlinie.htm).
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Die „Grundsätze zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten in Innenräumen“ verwendet das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) für die nationale Zulassung von Bauprodukten. Zunächst erfolgt eine Prüfung der Rezeptur, um humantoxische, krebserzeugende oder erbgutverändernde Inhaltsstoffe zu erkennen und möglichst auszuschließen. Für die Bewertung der Emissionen in die Innenraumluft wird eine Methodik verwendet, die der Ausschuss zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten (AgBB) erarbeitet hat (AgBB-Bewertungsschema, AgBB 2008). Hierzu werden die Bauprodukte Emissionsprüfungen unterzogen und die emittierten Stoffe mithilfe von sogenannten NIK-Werten (niedrigste interessierende Konzentrationen) bewertet. Über die Eignung eines Bauprodukts entscheidet dann die Summe aller Emissionen. Im Fokus der Bewertung steht die Nutzungsphase des Bauprodukts.
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Die „Grundsätze zur Bewertung der Auswirkungen von Bauprodukten auf Boden und Grundwasser“ des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt) finden bei der nationalen bauaufsichtlichen Zulassung von Bauprodukten Anwendung. Auch hier erfolgt zunächst eine Rezepturprüfung der Produkte, um human- und ökotoxische, krebserzeugende, erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Inhaltsstoffe zu erkennen und möglichst auszuschießen. Zusätzlich wird die Freisetzung von bestimmten Stoffen durch einen Auslaugtest (Elutionstest) gemessen. Im Einzelfall soll auch die Ökotoxizität des Eluats geprüft werden, was dann einer ökotoxischen Prüfung der Gesamtemissionen gleichkommt. Die abschließende Bewertung der Emissionen im Eluat erfolgt auf der Grundlage der Anwendungsbedingungen des Bauprodukts (Anwendungsfälle bzw. Freisetzungsszenarien), ggf. einer Modellierung des Stofftransports in die Grundwasserzone und dem Vergleich mit Bezugswerten für das Grundwasser, den sogenannten Geringfügigkeitsschwellen (GFS). Im Fokus der Bewertung steht die Nutzungsphase des Bauprodukts.
In die Analyse der Schnittstellen wurden weiterhin fünf konkrete Bauprodukte einbezogen, bei denen es sich zum Teil um Gemische, zum Teil um Erzeugnisse handelt: Fußbodenbeläge, Schmierstoffe und Schalöle, mineralische Mörtel, Kunstharzputze sowie Spanplatten. Für diese Produktgruppen gilt nicht nur REACH, sondern auch eine Reihe der oben erwähnten Bauprodukt-spezifischen Regelungen oder Vorgaben des nationalen Chemikalienrechts für einzelne Inhaltsstoffe (einen Leitfaden für die Registrierung von bauchemischen Gemischen hat die Deutsche Bauchemie e. V. (2008) herausgeben). Tabelle 1 zeigt die fünf Bauprodukte, die jeweils relevanten Regelwerke und die dabei auftretenden, besonders interessanten Schnittstellen zu REACH. Die einzelnen Schnittstellen zwischen REACH und den anderen Regelungen sind für jede Produktgruppe unterschiedlich. Zudem sind die Beispiele für unterschiedliche Schutzgüter (Verbraucherschutz, Umweltmedien Boden, Wasser, Luft) von Bedeutung. Die detaillierte Charakterisierung der gefundenen Schnittstellen folgt in Abschn. 3.
3 Die Bedeutung der wichtigsten Schnittstellen zwischen REACH und Regelungen zu Bauprodukten
Die Schnittstellen zu den oben genannten Regelwerken wurden unter folgenden Leitfragen analysiert:
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Überschneidungen in den Regelungsbereichen (mit und ohne Widersprüche);
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Unterschiede in den Regelungsbereichen (Schutzniveaus, Produktdefinition, Bewertungsparameter);
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Berührungspunkte und Informationsflüsse (von einer in die andere Regelung);
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nutzbare Anregungen für die Bewertung von Produkten.
Deutlich wird hierbei, dass für die Produktbewertung die nachfolgenden acht Schnittstellen zwischen REACH und den betrachteten Regelungen zu Bauprodukten von besonderem Interesse sind (für weitere Einzelheiten siehe Bunke et al. 2008). Nicht näher eingegangen wird auf die wichtige Thematik der Substitution gefährlicher Stoffe, da sie nicht Gegenstand des Forschungsvorhabens war (für eine Übersicht zur Thematik „Substitution“ siehe Lißner und Lohse 2006). Die nachfolgend beschriebenen Schnittstellen unterscheiden sich untereinander erheblich in der Bedeutung, die sie für einzelne Branchen haben, und auch in ihrer rechtlichen Verbindlichkeit. Sie werden hier ohne Gewichtung vorgestellt.
3.1 Schnittstelle 1: Die Bereitstellung neuer Stoffinformationen durch REACH
Die Registrierungspflicht in REACH wird bei den stoffbezogenen Daten zu einem erheblichen Wissenszuwachs führen. Dies gilt sowohl für Daten zu Stoffeigenschaften als auch für die daraus abgeleiteten Grenzwerte (DNELs, PNECs) und für vorgenommene Einstufungen und Kennzeichnungen, die ihrerseits wieder in anderen Regelungen Verwendung finden. Diese Stoffinformationen soll die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) kostenlos über das Internet öffentlich zugänglich machen (REACH, Art. 119). Da die zeitlich gestuften Registrierungspflichten für kleinvolumige Stoffe bis Ende 2018 reichen, kann es im Einzelfall jedoch noch lange dauern, bis die neuen Daten zur Verfügung stehen.
EmpfehlungDiese Informationen sollten bei der Erstellung oder Überarbeitung von (freiwilligen oder verpflichtenden) produktbezogenen Regelungen intensiv genutzt werden.
Für einzelne Produktgruppen und produktbezogene Regelungen gilt es zunächst zu prüfen, in welchem Umfang und wann neue stoffbezogene Informationen durch REACH zu erwarten sind. Hierzu gehört auch eine Analyse, in welchem Umfang Stoffe mit Produktionsmengen unter 1 t/Jahr bzw. 1–10 t/Jahr von Bedeutung sind. Bei Stoffen mit einer jährlichen Produktionsvolumen von unter einer Tonne pro Hersteller bzw. Importeur besteht keine Registrierungspflicht. REACH führt daher bei diesen Stoffen zu keiner Verbesserung der Datenlage. Bei Stoffen im Mengenband von 1–10 Tonnen/Jahr/Hersteller bzw. Importeur beginnt die Registrierungspflicht. Für diese Stoffe wird ein technisches Dossier erstellt, allerdings kein Stoffsicherheitsbericht. Die für die Registrierung zu erfüllenden Datenanforderungen entsprechend Anhang VII sind deutlich niedriger als bei höhervolumigen Stoffen (Anhänge VIII–X). Bei den Stoffen mit 1–10 Tonnen wird sich durch REACH die Datenlage bessern, aber es werden keine neuen Daten zu langfristigen Auswirkungen gewonnen werden.
Außerdem sollten bereits zur Verfügung stehende Stoffdaten aus freiwilligen Regelungen – wie beispielsweise dem AgBB-Bewertungsschema – von den Herstellern für eine frühzeitige Registrierung genutzt werden (das AgBB-Bewertungsschema unterstützt freiwillige Datenerhebungen der Industrie, um NIK-Werte zur Beurteilung der Emissionen abzuleiten. Stoffe ohne NIK-Wert werden nachteilig bewertet (ein Gedanke, der den REACH-Prozess vorwegnahm).
Freiwillige Regelungen (z. B. der „Blaue Engel“) sollten Anreize für eine möglichst frühzeitige Registrierung geben, damit neue Stoffdaten nicht erst am Ende der in REACH vorgesehenen Übergangsfristen zur Verfügung stehen.
Besonders besorgniserregende Stoffe REACH sieht vor, besonders besorgniserregende Stoffe – substances of very high concern (SVHC) – zu identifizieren (Aufnahme in eine Kandidatenliste nach Art. 59 (1)) und ggf. einer Zulassungspflicht zu unterwerfen (Aufnahme in Anhang XIV). Besonders besorgniserregende Stoffe nach REACH, Art. 56 sind Stoffe, die krebserzeugend, mutagen oder fortpflanzungsgefährdend der Kategorien 1 oder 2 (CMR-Stoffe), persistent, bioakkumulierend und toxisch (PBT-Stoffe), sehr persistent und sehr bioakkumulierend (vPvB-Stoffe) oder vergleichbar besorgniserregend sind. Die ECHA veröffentlichte im Herbst 2008 eine erste Liste von 16 Stoffen, die von einzelnen EU-Mitgliedstaaten oder der EU-Kommission als Zulassungskandidaten vorgeschlagen wurden (u. a. Natriumdichromat, Anthrazen und Benzylbutylphthalat; vgl. http://echa.europa.eu/chem_data/authorisation_process/candidate_list_table_en.asp). Von diesen sind zurzeit acht SVHC-Stoffe priorisiert für eine Aufnahme in den Anhang XIV von REACH, die Ende 2009 oder Anfang 2010 erfolgen könnte. Ab einem festgelegten Zeitpunkt („sunset date“) wird es dann branchenübergreifend verboten sein, diese Stoffe ohne Zulassung zu verwenden oder in Europa auf den Markt zu bringen. Einzelne Verwendungen werden nur möglich sein, wenn vom Hersteller, Importeur oder Anwender ein Zulassungsantrag gestellt und die Zulassung von der ECHA erteilt wird. Für SVHC, die in Importerzeugnissen auf den europäischen Markt kommen, gilt die Zulassungspflicht nicht. Es besteht jedoch weiterhin eine Notifizierungspflicht unter bestimmten Bedingungen (REACH Art. 7 Nr. 2–4, 6). Darüber hinaus haben Verbraucher ein Recht auf Auskunft über alle SVHC der Kandidatenliste in Erzeugnissen, wenn deren Massenkonzentration über 0,1 Prozent liegt (Art. 33).
Empfehlung Besonders besorgniserregende Stoffe sollten schon jetzt soweit wie möglich in den spezifischen produktbezogenen Regelungen beschränkt werden. Hierdurch würde insbesondere die Regelungslücke bei den Importprodukten geschlossen. Dies bedeutet z. B., dass in der Bauproduktnormung zur Erfüllung der wesentlichen Anforderung „Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz“ unter anderem vorgeschrieben werden sollte, dass alle besonders besorgniserregenden Substanzen, wie sie unter REACH im Artikel 57 definiert sind, in Bauprodukten nicht eingesetzt werden sollten. Minimalforderung wäre eine Deklarationspflicht für alle SVHC.
3.2 Schnittstelle 2: Expositionsszenarien
REACH sieht zur Charakterisierung von Stoffen und ihren Anwendungen drei Instrumente vor, die für weitere produktbezogene Regelungen von besonderem Interesse sind:
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Sicherheitsdatenblätter sind und bleiben das zentrale Kommunikationsmittel in den Lieferketten für Stoffe und Gemische. Unter REACH steigt der Informationsgehalt der Sicherheitsdatenblätter, die als Anhang Expositionsszenarien enthalten können (s. u.). Das Sicherheitsdatenblatt bezieht sich auf Stoffe und Gemische, die industriell und/oder gewerblich verwendet werden. Der Aufbau der Sicherheitsdatenblätter wird im Anhang II von REACH vorgegeben.
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Stoffsicherheitsberichtedokumentieren die Stoffsicherheitsbeurteilungen, die im Rahmen der REACH-Registrierung für Stoffe mit einem Jahresproduktions- oder Importvolumen von 10 t und mehr pro Hersteller oder Importeur durchzuführen sind. Für gefährliche Stoffe (gemäß Richtlinie 67/548/EWG bzw. CLP-Verordnung), und persistente, bioakkumulierende und toxische (PBT), oder sehr persistente und sehr bioakkumulierende (vPvB) Stoffe beinhaltet die Stoffsicherheitsbeurteilung zusätzlich die Ermittlung der Exposition sowie der Risikobeschreibung. Anhang I von REACH beschreibt Struktur und Vorgehen bei der Stoffsicherheitsbeurteilung. Im Detail werden die einzelnen Arbeitsschritte in dem Leitfaden der ECHA zu den Informationsanforderungen und zur Stoffsicherheitsbeurteilung dargestellt.
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Expositionsszenariendokumentieren die Bedingungen für sichere Verwendungen – auch von Stoffen in Produkten. Sie werden mit dem Sicherheitsdatenblatt in Form eines eigenen Anhanges kommuniziert. Expositionsszenarien werden im Anhang I von REACH beschrieben (vgl. hier Abschn. 5.1) und im Detail im Teil D der ECHA Leitlinie zu den Informationsanforderungen und zur Stoffsicherheitsbeurteilung.
Für die Erstellung der in REACH definierten Expositionsszenarien können und sollten Informationen zur Expositionsbeschreibung genutzt werden, die bereits für andere Regelungen gewonnen wurden. So wurden beispielsweise im AgBB-Bewertungsschema für Innenraumbelastungen und für die DIBt-Grundsätze Boden und Grundwasser die sogenannten Freisetzungsszenarien erstellt. Sie bilden die Freisetzung von Stoffen in den Innenraum bzw. in den Boden und das Grundwasser ab. Entsprechende Freisetzungsszenarien werden auf europäischer Ebene auch im Rahmen der Bauproduktenrichtlinie erarbeitet. Die Freisetzungsszenarien sehen auch Emissionsmessungen an den jeweiligen Bauprodukten vor. Im Arbeits- und Verbraucherschutz werden ebenfalls Expositionsszenarien verwendet.
EmpfehlungDie Entwicklung von Freisetzungsszenarien im Rahmen der Bauproduktenrichtlinie sollte so erfolgen, dass diese Szenarien direkt als Module für die REACH-Expositionsszenarien verwendet werden können. Hierfür ist eine Bestandsaufnahme der bestehenden Methoden zur Emissionsmessung und -modellierung erforderlich, ggf. auch eine Methodenharmonisierung.
3.3 Schnittstelle 3: Bezugswerte für die Bewertung von Stoffen und Produkten
In der Stoffsicherheitsbeurteilung unter REACH werden zwei Arten von Konzentrations- bzw. Dosis-Werten ermittelt, die als unbedenklich angesehen werden, solange die Stoffe nicht als SVHC gelten: Die durch REACH zu erwartenden PNEC- und DNEL-Werte weisen Ähnlichkeiten auf mit bereits bestehenden Grenz- und Richtwerten aus dem Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutz.
PNEC-Wertebeziehen sich auf die Umwelt („Predicted No-Effect Concentrations“). Es sind vorhergesagte Konzentrationen, bei denen keine schädlichen Auswirkungen in den Umweltkompartimenten (Süß- und Meerwasser, Sediment und Boden, Luft und Nahrungsketten) zu erwarten sind. Die PNEC-Werte wurden bereits zur Altstoffbewertung und Neustoffanmeldung eingesetzt. Die REACH-Ableitungsmethodik kann im Wesentlichen als Weiterentwicklung des bisherigen Verfahrens bezeichnet werden.
DNEL-Werte beziehen sich auf die menschliche Gesundheit („Derived No-Effect Level“). Es sind abgeleitete Expositionshöhen, unterhalb derer ein Stoff zu keiner Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit führen soll. DNEL-Werte sind einzelstoffbezogen und können für unterschiedliche Expositionswege (oral, inahalativ, dermal), unterschiedliche Belastungszeiten (Kurzzeit/Langzeit) und unterschiedliche belastete Kollektive (Arbeitnehmer/Verbraucher) abgeleitet werden.
Die DNEL-Werte für den Arbeitsplatz entsprechen in ihrer Zielsetzung den unterschiedlichen europäischen Richt- und Grenzwerten für Gefahrstoffe im Arbeitsschutz. Hier sind insbesondere die maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen (MAK-Werte) und die Occupational Exposure Limits („Health-based“ HB – OELs) zu nennen.
Die existierenden Grenz- und Richtwerte wurden wiederum als Ausgangspunkt für die Entwicklung von Bezugswerten z. B. zur Ableitung der NIK-Werte („niedrigste interessierende Konzentrationen“; Hilfsgröße zur Beurteilung von Einzelstoffen) im Rahmen des AgBB-Schemas und zur Ableitung von Umweltqualitätszielen herangezogen.
EmpfehlungenHier wird es in mehrfacher Hinsicht Harmonisierungsbedarf mit den „neuen“ DNEL- und PNEC-Werten geben. Für das AgBB-Schema muss überprüft werden, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem bisher verwendeten methodischen Ansatz zur Ableitung der NIK-Werte und dem vorgeschlagenen Vorgehen für den DNEL inhalativ, Langzeit, Verbraucher bestehen. REACH wird zu DNEL- und PNEC-Werten für Stoffe führen, für die es bislang keine Grenz- oder Richtwerte gab. Diese Werte werden als Bezugswerte Eingang in die betrachteten produktbezogenen Regelungen und die hier verwendeten Bewertungssysteme finden. Aus dem anlagenbezogenen und dem sektoralen Umweltrecht liegen umweltmedienbezogene, gesetzlich verbindliche Grenzwerte vor. Hier besteht Klärungsbedarf, in welchem Verhältnis die aus REACH resultierenden PNEC-Werte zu den bestehenden Grenzwerten stehen.
3.4 Schnittstelle 4: Unterschiede in den Schutzniveaus der Regelungen
Das Ziel der Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für die menschliche Gesundheit und die Umwelt hat REACH (Art. 1.1) mit der Bauproduktenrichtlinie und dem „Blauen Engel“ gemeinsam. Ein bedeutender Unterschied ist, dass sich die Bauproduktenrichtlinie hierbei lediglich auf die Auswirkungen während der Nutzungsphase der Gebäude bezieht, während REACH den gesamten Lebenszyklus der Stoffe von der Produktion bis zur Entsorgung betrachtet.
Beim „Blauen Engel“ werden die inhaltsstoffbezogenen Vorgaben nicht an das Produktionsvolumen der Inhaltsstoffe gekoppelt. Dadurch können theoretisch auch Stoffe in den Produkten reglementiert werden, für die sich unter REACH keine Registrierpflicht ergibt. Darüber hinaus dürfen in Produkten, welche die Auszeichnung mit dem „Blauen Engel“ beantragen, in der Regel Substanzen mit bestimmten Eigenschaften nicht enthalten sein. Die Kriterien gehen dabei über die REACH-Kriterien für besonders besorgniserregende Stoffe hinaus. Beispielsweise müssen die Eigenschaften Persistenz, Bioakkumulierbarkeit und Toxizität nicht gekoppelt betrachtet werden, wie es bei REACH der Fall ist.
REACH stellt in Art. 7 auch Anforderungen an Stoffe in Erzeugnissen – sie sind allerdings wesentlich geringer als die Anforderungen, die REACH an Stoffe als solche bzw. in Gemischen stellt (siehe Abschn.1). Werden Erzeugnisse in Europa hergestellt, gelten für die hierbei eingesetzten Stoffe die REACH-Anforderungen. Dies ist bei Erzeugnissen mit Herstellungsort außerhalb der EU nur sehr bedingt der Fall. Daher ist das durch REACH vorgegebene Schutzniveau hinsichtlich stoffbedingter Risiken bei importierten Erzeugnissen geringer als bei EU-Erzeugnissen (siehe hierzu auch das Forschungsvorhaben des Umweltbundesamtes „Cancerogene, mutagene, reproduktionstoxische (CMR) und andere besonders besorgniserregende Stoffe in Produkten“ (FKZ 3707 61 300, Abschluss Anfang 2010).
Empfehlung Die freiwilligen Regelungen wie der „Blaue Engel“ sollen in ihren Schutzzielen über das gesetzlich festgelegte Maß – und damit auch über REACH – hinaus gehen und damit weitergehende Anregungen für eine nachhaltige Produktgestaltung geben.
Mittelfristig sollten die aus REACH folgenden Anforderungen für Stoffe in Erzeugnissen nicht nur für Erzeugnisse, deren Herstellungsort innerhalb der EU liegt, sondern gleichermaßen für importierte Erzeugnisse gelten.
3.5 Schnittstelle 5: Gruppierung ähnlicher Stoffe und Produkte
REACH kennt ebenso wie bauaufsichtliche Zulassungen und der „Blaue Engel“ unterschiedliche Möglichkeiten zur Gruppierung von Verwendungen und zur Typisierung von Stoffen in Erzeugnissen.
EmpfehlungMöglichkeiten der gemeinsamen Bewertung von ähnlichen Stoffen und Produkten sollten in allen Regelungen verwendet werden, um unnötige Mehrfacharbeit zu vermeiden. Die vorliegenden Stoffdaten, wie NIK-Werte des AgBB-Schemas, sollten auf strukturell ähnliche Substanzen übertragen werden („read across“). Der Prüfaufwand für einzelne Gemische zur bauaufsichtlichen Zulassung kann wesentlich verringert werden, wenn für die jeweilige Produktgruppe Emissionsmessungen an Rahmenrezepturen vorliegen und diese systematisch für produktbezogene Stoffregularien genutzt werden.
3.6 Schnittstelle 6: Verringerung des Untersuchungsumfanges
Unter REACH gibt es die Möglichkeit, mit einer entsprechenden Begründung auf bestimmte Prüfungen zu verzichten. In den nationalen Zulassungsgrundlagen des DIBt für Bauprodukte wird ebenfalls ein gestuftes Vorgehen zur Bewertung der Produkte vorgeschrieben. Aufwendige Untersuchungen („Stufe 2“) werden nur dann erforderlich, wenn sich in der Stufe 1 gezeigt hat, dass in den Produkten problematische Inhaltsstoffe enthalten sind und auch bereits vorliegende Kenntnisse zu ähnlichen Produktgruppen zu keiner Entlastung führen. In REACH ist bei der Stoffsicherheitsbeurteilung auch ein gestuftes Vorgehen möglich. Die Möglichkeit einer solchen gestuften Bewertung sollte, unter Sicherstellung einer ausreichenden Dokumentation der Entscheidungsprozesse, möglichst in allen Regularien mit Stoffbezug ausgeschöpft werden. Dies ist derzeit noch nicht bei allen Regelungen der Fall. Eine Harmonisierung der Herangehensweise würde zum einen vorhandene Erfahrungen mit gestuften Bewertungen nutzen und verfügbar machen, zum anderen den mit den Bewertungen verbundenen Aufwand verringern können. Dies ist für alle beteiligten Akteure unter ökonomischen Gesichtspunkten vorteilhaft und kann auch zur Verringerung der erforderlichen Zahl an Versuchen beitragen.
Der in der Bauproduktenrichtlinie erarbeitete Ansatz „Produkte ohne Prüfung“/„Ohne weitere Prüfung“ (OP/OWP) ist daher von zentraler Bedeutung für eine effektive Beurteilung von Bauprodukten (zum Nachweis der Erfüllung der Anforderungen an Bauprodukte ohne Prüfung, ohne regelmäßige Prüfung und durch regelmäßige Prüfung siehe Rheinberger und Bunke (2007)). Durch dieses Konzept soll dort der notwendige Prüfumfang für Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen von Bauprodukten minimiert werden.
EmpfehlungDie OP/OWP-Bewertungen im Rahmen der Bauproduktenrichtlinie entsprechen den Aufgaben, die unter REACH im Stoffsicherheitsbericht für die Expositionsabschätzung und Risikobeschreibung der Nutzungsphase zu leisten sind. Sie sollten daher von den nationalen Bewertungsbehörden und von der ECHA als Nachweis anerkannt werden, dass die Nutzungsphase der Zubereitung für die allgemeine Bevölkerung und die Umwelt sicher ist.
3.7 Schnittstelle 7: Kommunikationsinstrumente
Die Rolle des Sicherheitsdatenblattes als zentrales Kommunikationsinstrument für Stoffe und Gemische in den Lieferketten wird durch REACH weiter gestärkt – auch für andere stoffbezogene Regelungen. Für Erzeugnisse müssen unter REACH keine Sicherheitsdatenblätter erstellt werden. Hier liegen in der Regel wesentlich weniger Informationen zu Zusammensetzung und Inhaltsstoffen vor als bei Gemischen. In einigen der untersuchten Regelungen sind solche – für die Beurteilung wichtigen – Informationen in produktspezifischen Begleitmaterialien zusammengefasst.
EmpfehlungBei der Ausgestaltung produktbezogener Informationsinstrumente können Informationspflichten, die über das Sicherheitsdatenblatt hinausgehen, genutzt werden. Hierzu zählen u. a. die Informationen, die im „Blauen Engel“ für einige Produktgruppen gegenüber dem gewerblichen und/oder dem privaten Nutzer festgelegten werden (z. B. Informationen zu emissionsarmen Klebern im „Blauen Engel“ für Fußbodenbeläge). Für die Bewertung von Erzeugnissen sollte mittelfristig ein Informationsinstrument entwickelt werden, das die für die Bewertung notwendigen Daten zu Inhaltsstoffen und Emissionen enthält.
3.8 Schnittstelle 8: Vorgaben zur Qualitätskontrolle und zur Überwachung
Eigenverantwortung der Unternehmen ist ein wesentliches Element von REACH. Ergänzend sind Elemente der behördlichen Qualitätskontrolle vorgesehen, insbesondere auf der Ebene der Dossierbewertung und der Stoffbewertung gemäß Titel IV. Diese Kontrollelemente sind in anderen produktbezogenen Stoffregularien stärker ausgeprägt. So werden in der Bauproduktenrichtlinie umfangreiche Qualitätsprüfungen vorgeschrieben. Die Fremdkontrolle ist hierbei ein wesentlicher Baustein.
EmpfehlungenIn der Vergangenheit waren zahlreiche Produkte mit verbotenen Chemikalien auf dem Markt zu finden, wie beispielsweise die Meldungen im europäischen Schnellwarnsystem RAPEX belegen. Daher ist auch zukünftig eine regelmäßige und umfassende Marktaufsicht erforderlich, um den Erfolg von REACH zu prüfen und erforderlichenfalls weitergehende Regelungen für (Import-)Produkte zu begründen.
Die bestehenden Erfahrungen zur Qualitätssicherung bei Sicherheitsdatenblättern sollten für REACH ausgewertet werden. Darüber hinaus kommt einer Qualitätssicherung für Sicherheitsdatenblätter aufgrund ihrer zentralen Stellung für den Informationsfluss auch weiterhin eine hohe Bedeutung zu.
4 Schlussfolgerungen und Ausblick
Seit REACH in Kraft getreten ist, wird das Zusammenwirken zwischen REACH und anderen Regelungen zunehmend intensiver diskutiert. Aus der vergleichenden Analyse der unterschiedlichen produktbezogenen Regelungen wird deutlich, dass es bezogen auf die Produktbewertung im Wesentlichen nicht um einen Ersatz gehen kann, sondern um eine gegenseitige Ergänzung.
4.1 REACH setzt den Schwerpunkt auf Einzelstoffe
Eine der wesentlichen Zielsetzungen von REACH ist der sichere Umgang mit Stoffen – nicht mit komplex aufgebauten Erzeugnissen – in den Wertschöpfungsketten. REACH ist eine stoffbezogene Gesetzgebung; auch wenn der Stoff in seinem ganzen Lebensweg betrachtet wird. Dies bedingt, dass REACH bestehende, produktbezogene und anlagen- oder unternehmensbezogene Bewertungssysteme bzw. Regelungen nicht ersetzen kann. Bei komplex aufgebauten Gemischen und Erzeugnissen ist nicht zu erwarten, dass durch REACH eine vollständige, allgemein zugängliche Kenntnis der Inhaltsstoffe realisiert werden kann. Für eine Gesamtbewertung der Emissionen aus Bauprodukten werden unverändert Freisetzungsprüfungen erforderlich sein. Emissionsmessungen aus produktbezogenen Bewertungssystemen sind außerdem zur Validierung der in REACH vorgesehenen Modellierungen von hoher Bedeutung. Zur Beurteilung von Vielstoff-Systemen – das können komplex aufgebaute Erzeugnisse oder auch Emissionen aus lokalen oder diffusen Quellen sein – werden auch in Zukunft, neben Einzelstoff-bezogenen Grenzwerten wie REACH sie verwendet, auch Summenparameterzum Einsatz kommen. Diese sind fester Bestandteil bestehender produktbezogener Regelungen und haben keine Entsprechung in REACH.
4.2 Verknüpfung stoffbezogener Regelungen mit REACH
Die vergleichende Analyse der stoffbezogenen Regelungen hat auch Möglichkeiten ihrer gegenseitigen Verknüpfung aufgezeigt. Zukünftige stoffbezogene Regelungen sollten soweit wie möglich die in REACH festgelegten Bewertungs- und Informationsinstrumente nutzen (z. B. die in Zukunft durch REACH zu erwartenden DNEL- und PNEC-Werte), denn prinzipiell werden die stoffbezogenen Anforderungen in unterschiedlichen Regelungen vergleichbar sein.
Gleichzeitig müssen aber die Besonderheiten und der Detaillierungsgrad der Regelungen ihren Zielen, den jeweiligen Schutzgütern und den angesprochenen Branchen angepasst bleiben. Dies gilt insbesondere für die Berücksichtigung des Stands der Technik, evtl. vorhandener Substitute oder spezifischer geografischer Gegebenheiten. Ist eine Umwelt- und Gesundheitsbelastung technisch vermeidbar, sollen diese Potenziale genutzt und die Chemikalienkonzentration in der Umwelt nicht bis an die Bezugswerte „aufgefüllt“ werden. Darüber hinaus kann auch die branchenspezifische Ausgestaltung der Entsorgungsphase Stoffbeschränkungen erforderlich machen, um eine bessere Kreislaufführung von Rohstoffen zu ermöglichen.
Legt REACH zukünftig eine Zulassungspflicht für bestimmte besonders besorgniserregende Stoffe fest, so sollten daraus folgende Einschränkungen der Verwendung (in Europa) auch in die produktspezifischen Regularien übernommen werden. Nur durch eine Regelung auf Produktebene ist eine vergleichbare Behandlung von Importprodukten mit Produkten, deren Herstellungsort die EU ist, sicherzustellen.
4.3 Übergreifende Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung der Schnittstellen
Die vergleichende Analyse und die Diskussion mit den gesellschaftlichen Akteuren zeigen zusätzliche Handlungsmöglichkeiten, um die bestehenden Schnittstellen zwischen REACH und den betrachteten Regelungen möglichst gewinnbringend zu nutzen:
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In der Klärung der Begrifflichkeiten der verschiedenen betrachteten Regelungen liegt ein wesentlicher Schlüssel zur Nutzung der Möglichkeiten, die sich aus den bestehenden Überschneidungen der Regelungen ergeben. So sind z. B. Expositionsszenarien und Freisetzungsszenarien zentrale Begriffe, die aufgrund ihrer Ähnlichkeit bei flüchtiger Betrachtung zu Verunsicherungen führen müssen.
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Ein Abgleich der Bewertungsmethoden und der Bezugswerte der verschiedenen Regelungen auf europäischer Ebene erleichtert den Austausch von Informationen und vermeidet Doppelarbeit.
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Die Akteure der Industrie sollten den Informationsfluss und die Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette unter Berücksichtigung der Wahrung ihrer Geschäftsinteressen verbessern. Auf Verbandsebene können für einzelne Branchen standardisierte Expositions- und hierauf abgestimmte Freisetzungsszenarien entwickelt werden. Dies erleichtert die Kommunikation in den Lieferketten und gleichzeitig die Erfüllung von Prüfanforderungen gemäß der Bauproduktenrichtlinie.
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Seitens der Behörden ist eine einheitliche Sichtweise erforderlich für die Einbindung von neuen Bezugswerten aus dem europäischen Chemikalienrecht in das bestehende sektorale Umwelt- und das Anlagenrecht. Gleiches gilt für den Arbeits- und Verbraucherschutz.
Durch Nutzung der aufgezeigten Schnittstellen wird es auf nationaler und europäischer Ebene möglich sein, die Ziele der einzelnen Regelungen mit einem geringeren Arbeitsaufwand zu erreichen als es bei einer isolierten Herangehensweise zu erwarten ist. Behörden und Wirtschaft können sich hierbei gegenseitig bei der Entwicklung und Erprobung von Bewertungsmethoden und Kommunikationsinstrumenten unterstützen. Ein von Unternehmen und Behörden gemeinsam getragenes Verständnis zur Nutzung von Schnittstellen produktbezogener Regelungen wird die Akzeptanz der vorgenommenen Bewertungen und die Effizienz der Überwachungsaufgaben sehr erhöhen.
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Bunke, D., Zangl, S., Hermann, A. et al. Ersatz oder Ergänzung? Schnittstellen zwischen REACH und produktbezogenen Regelungen am Beispiel von Bauprodukten. Environ Sci Eur 22, 36–45 (2010). https://doi.org/10.1007/s12302-009-0102-0
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