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  • INTERDISZIPLINÄRE KOOPERATION
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Rechts- und naturwissenschaftliche Kooperation im Umweltrecht am Beispiel des Chemikalien- und Naturschutzrechts

Zusammenfassung

Der Beitrag ist aus einem Vortrag hervorgegangen, den der Verfasser am 23. 9. 2009 bei der Jahrestagung der Gesellschaft Deutscher Chemiker, Fachgruppe Umweltchemie und Ökotoxikologie, in Trier gehalten hat. Wenngleich gewichtige Sachgründe für eine fachübergreifende rechts- und naturwissenschaftliche Kooperation sprechen, so stellt sie doch in der gegenwärtigen universitären Forschungslandschaft eher eine Rarität dar. Zu den Ursachen hierfür gehört, dass eine derartige Kooperation mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, die aus der zunehmenden Spezialisierung der Wissenschaft und der damit einhergehenden Herausbildung divergierender Fächerkulturen resultieren. Hinzu kommt, dass die aktuelle Drittmittelförderung, die nicht zuletzt auf die Initiierung und Intensivierung von Interdisziplinarität zielt, auf Rechtswissenschaftler nur eine vergleichsweise geringe Anreizwirkung ausübt. Doch mehren sich die Anzeichen dafür, dass sich hier alsbald ein Wandel vollzieht. Das Chemikalienrecht bietet jedenfalls (ebenso wie beispielsweise das Naturschutzrecht) etliche Ansatzpunkte für sachlich ertragreiches kooperatives Zusammenwirken von Rechts- und Naturwissenschaftlern.

Abstract

This article is based on a speech held at the annual conference of the German Chemical Society (working group Environmental Chemistry and Ecotoxicology) on 23 September 2009 in Trier. Despite strong arguments for interdisciplinary co-operation in the field of law and natural sciences, it still appears as a rather rare phenomenon in the current research environment. This is partly due to the difficulties emerging from the increasing specialization and diversification in sciences. Beyond that, the current possibilities of third-party funding, not least aimed at initiating and intensifying interdisciplinary projects, provide a comparatively weak incentive to jurists. Nonetheless, there are indications for a change in the near future. However, at least chemical law (as well as for example nature conservation law) offers a range of starting points for a productive co-operation among jurists and natural scientists.

1 Grundfragen der Kooperation zwischen Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften

Wenn über rechts- und naturwissenschaftliche Kooperation im Umweltrecht zu referieren ist (Klein 2010), dann drängt sich seit einer vor wenigen Jahren ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-WürttembergFootnote 1 eine neue Frage auf. Die Frage lautet, ob sich die Juristen überhaupt zu einem interdisziplinären Dialog mit wechselseitigem Ertrag eignen oder ob sie möglicherweise darauf beschränkt sind, einseitig fachliche Verlautbarungen abzugeben. In der angesprochenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg geht es um die Abgrenzung zwischen der Beseitigung und der Verwertung von Abfällen bei der Abfallverbrennung, also gleichsam um einen klassischen Dauerbrenner in der abfallrechtlichen Diskussion. Das Gericht stellt hierzu fest: „Nach geltendem Recht lassen sich in diesem Punkt die ingenieurwissenschaftliche sowie ökonomische Rationalität einerseits und die juristische Rationalität andererseits nicht in Deckung bringen.“Footnote 2.

Sofern es sich hierbei um eine verallgemeinerungsfähige Feststellung handelte, würden sich die Juristen freilich selbst ins interdisziplinäre Abseits stellen – vielleicht fänden sogar einige Gefallen daran. Das Gericht beschränkt allerdings die von ihm diagnostizierte Rationalitätsdivergenz auf die für seine Entscheidung relevante Spezialfrage, indem es vorsichtig argumentiert, die Divergenz bestehe „in diesem Punkt“. Ob das Gericht in dem betreffenden Punkt Recht hat, wird in der juristischen Fachliteratur nachdrücklich bezweifelt (Baars und Nottrodt 2007). Doch mag dies dahinstehen. Jedenfalls schadet es dem Ansehen, der Wertschätzung sowie der Überzeugungskraft einer Rechtsordnung, wenn deren inhaltliche Ausgestaltung in einen Widerspruch oder Gegensatz zu ingenieur-, wirtschafts- und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gerät. Die hier in Rede stehende rechts- und naturwissenschaftliche Kooperation dient insbesondere auch dem Ziel, eine derartige Diskrepanz zu verhindern. Aus dieser Zielsetzung folgt: Soweit es um die inhaltliche Ausgestaltung einer Rechtsordnung geht, sollten rechts- und naturwissenschaftliche Rationalität und Begrifflichkeit nach Möglichkeit übereinstimmen. Darauf wird noch zurückzukommen sein. Zunächst aber sei der Blick auf einen grundsätzlichen Aspekt rechts- und naturwissenschaftlicher Kooperation gerichtet.

Die Einheit der Wissenschaft gehört neben der Einheit von Forschung und Lehre sowie der Freiheit von Forschung und Lehre zu den drei Fundamentalprinzipien, auf denen das durch Wilhelm von Humboldt geprägte deutsche Universitätswesen beruht (Hendler 1984, S. 32). Allerdings hat sich die Wissenschaft seit dem hochschulpolitischen Wirken Wilhelm von Humboldts zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend spezialisiert. Das gilt nicht nur, aber vor allem auch für die Naturwissenschaft, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine besondere Dynamik entfaltete, sich rasant entwickelte und in hohem Maße ausdifferenzierte. Vor diesem historischen Hintergrund erweist sich die interdisziplinäre Kooperation als Antwort auf die unentwegt fortschreitende Spezialisierung der Wissenschaft.

Ein Beweggrund für die Zusammenarbeit unter verschiedenen wissenschaftlichen Fächern könnte hiernach darin bestehen, das Humboldt’sche Prinzip der Einheit der Wissenschaft lebendig zu erhalten. Inwieweit derartige ideelle Beweggründe allerdings interdisziplinäre Kooperation zu initiieren und voranzutreiben vermögen, sei dahingestellt. Sie werden ohnehin durch den aktuellen hochschulpolitischen Reformprozess, zu dessen Kennzeichen die Ökonomisierung der Universität gehört (Mager 2006; Hendler 2006), zunehmend beiseite gedrängt. Ohne berufliches Ethos und Selbstverständnis der heutigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler grundlegend infrage stellen zu wollen, möchte ich der These folgen, dass weniger erhabene Beweggründe deutlich mehr Antriebskräfte freisetzen.

Interdisziplinarität gehört neben Internationalität, Visibilität, Exzellenz, Evaluation etc. zu den Zentralbegriffen der gegenwärtigen wissenschafts- und hochschulpolitischen Rhetorik. Mehr noch: Interdisziplinarität stellt einen Schlüssel zu den verschiedenen Töpfen der Forschungsförderung dar. Schon aufgrund dieser Schlüsselrolle wird der interdisziplinären Kooperation im Wissenschaftsbetrieb der Hochschulen – wie von der Forschungspolitik intendiert – eine erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet.

Bevor den Dingen weiter nachgegangen wird, sei indes grundsätzlich klargestellt: Die Spezialisierung der Wissenschaft hat es ermöglicht, großartige fachliche Leistungen zu erbringen. Eine fortschreitende Spezialisierung ist für die Erzielung herausragender Forschungsergebnisse auch künftig unerlässlich. Daran besteht kein vernünftiger Zweifel. Andererseits kann interdisziplinäre Kooperation ebenfalls hohen Nutzen stiften. Deshalb wird beides benötigt: Intradisziplinäre Spezialisierung und interdisziplinäre Kooperation. Es gilt, auch das in dieser Kooperation liegende Potenzial zu erschließen. Da sie in der Vergangenheit eher ein Schattendasein führte, ist es sachlich gerechtfertigt, zumindest aber nachvollziehbar, dass von der aktuellen Forschungsförderung in verstärktem Maße finanzielle Anreize geschaffen werden, um sie zu forcieren.

Wenn von interdisziplinärer Kooperation gesprochen wird, mag überdies eine Bemerkung zu der Frage angebracht sein, was darunter zu verstehen ist. In der Rechtswissenschaft wird beispielsweise zwischen Öffentlichem Recht (Staats- und Verwaltungsrecht), Zivilrecht und Strafrecht unterschieden. Aber liegt bereits interdisziplinäre Kooperation vor, wenn Vertreter der drei Zweige der Rechtswissenschaft gemeinsam an einem Forschungsprojekt oder an einem juristischen Lehrbuch arbeiten? Dies könnte nur dann angenommen werden, wenn der Begriff der interdisziplinären Kooperation außerordentlich weit gespannt wird, wobei freilich die Gefahr besteht, dass er seine Konturen und damit seine Aussagekraft verliert. Die Problematik ist auch innerhalb der Naturwissenschaften virulent. Doch braucht dem insofern nicht näher nachgegangen zu werden, als es in dem hier behandelten Zusammenhang um gemeinsames rechts- und naturwissenschaftliches Forschen geht. Es dürfte Einigkeit darüber herrschen, dass es sich hierbei um einen klassischen Fall interdisziplinärer Kooperation handelt.

2 Umweltschutz als Referenzgebiet der Kooperation

Dass sich der Umweltschutz für rechts- und naturwissenschaftliche Kooperation besonders eignet, ist schnell erklärt: Art und Maß des Umweltschutzes werden durch das Recht festgelegt und ausgestaltet, aber wer dieses Recht setzen, auslegen, anwenden oder analysieren, also umweltjuristisch tätig sein will, muss wissen, welche ökologischen Mechanismen wirksam sind. Bei der Untersuchung und Beurteilung dieser Mechanismen stößt der Jurist jedoch alsbald an die Grenzen seiner fachlichen Kompetenz. Er ist insoweit auf die Naturwissenschaften angewiesen. Deren Vertreter wiederum vermögen insbesondere dann zielführende Beiträge zu liefern, wenn sie über Kenntnisse darüber verfügen, welche spezifischen Anforderungen die Setzung, Auslegung, Anwendung oder Analyse von Rechtsnormen stellt.

Was liegt bei der dargelegten Konstellation näher als eine enge Zusammenarbeit von Juristen und Naturwissenschaftlern im Bereich des Umweltschutzes? Wenngleich sich eine derartige Zusammenarbeit geradezu aufdrängt, so stellt sie doch in der nationalen, ja auch der internationalen Forschungslandschaft bislang eine Rarität dar. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es um gleichgewichtige, auf Dauer angelegte gemeinsame Forschung und nicht nur um den gelegentlichen fachlichen Meinungsaustausch auf Tagungen geht. Derartige Tagungen sind nur begrenzt ergiebig, weil sie aufgrund ihres flüchtigen Charakters keine vertiefenden Einblicke in das jeweils fremde Forschungsgebiet ermöglichen. Diese Einschätzung wird durch einen unlängst in der Zeitschrift „Forschung & Lehre“ publizierten Schreckensruf bestätigt. Von einer anonymen Wissenschaftlerin schallt es uns entgegen: „Interdisziplinarität. Was für ein Schlagwort! Warum nur sind dann die interdisziplinär ausgerichteten Tagungen immer die langweiligsten, weil alle aneinander vorbeireden und die eigentlich den Ausgangspunkt bildende Fachdisziplin zu kurz kommt?“ (Anonym 2009, S. 434).

Gemeinsame gleichgewichtige, auf Dauer angelegte rechts- und naturwissenschaftliche Forschung ist weit mehr als eine Tagungsbegegnung. Sie geht auch deutlich über das traditionelle Phänomen hinaus, welches darin besteht, dass ein naturwissenschaftliches Team einen Juristen zur rechtlichen Unfallverhütung heranzieht oder eine rechtswissenschaftliche Forschungsgruppe mit einem Naturwissenschaftler zusammenarbeitet, um sich vor ökologisch unhaltbaren Prämissen oder Konklusionen zu schützen. Wenn hier von einer rechtswissenschaftlichen Forschungsgruppe die Rede ist, so darf freilich nicht übersehen werden, dass sie den Ausnahmefall darstellt. Aus naturwissenschaftlicher Sicht mag dies ungewöhnlich sein. Doch wird die Rechtswissenschaft nach wie vor vom Einzelforscher geprägt, und zwar in einem außerordentlich hohen Maße.

3 Kooperation bei unterschiedlichen Fächerkulturen

Dass auf Dauer angelegte, gleichgewichtige rechts- und naturwissenschaftliche Kooperation allenfalls sporadisch anzutreffen ist, obwohl sie sich auf bedeutsame Sachgründe stützen lässt und zudem ein beachtliches Drittmittelpotenzial birgt, dürfte vor allem auf zwei Ursachen beruhen. Die erste besteht darin, dass sich eine derartige Kooperation als ein ebenso schwieriger wie zeitintensiver Prozess erweist. Dies gilt insbesondere für die Anfangsphase. Meines Erachtens kommt hierbei dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass eine derartige Kooperation nicht nur ein wechselseitiges Einarbeiten in differierende Begrifflichkeiten, Fragestellungen, Denk- und Betrachtungsweisen erfordert, was allein bereits einen erheblichen Zeit- und Arbeitsaufwand verursacht. Hinzu kommt, dass liebevoll kultivierte Fachegoismen zu überwinden sowie andere Fachkulturen und manche fremdartig anmutende Gewohnheit zu akzeptieren sind. Es werden mithin auch Anforderungen an die persönlichen Eigenschaften der beteiligten Wissenschaftler gestellt, was eine zusätzliche Herausforderung darstellt.

Wie bereits angesprochen, setzt die gegenwärtige Forschungsförderung deutliche finanzielle Anreize für interdisziplinäre Kooperation. Dies führt zu der Frage, weshalb gleichgewichtige, auf Dauer angelegte rechts- und naturwissenschaftliche Zusammenarbeit dennoch ein eher seltenes Ereignis darstellt. Die Antwort lautet: Juristen sind anders! Drittmittel wirken auf sie weit weniger anziehend als auf die Vertreter sonstiger Fachrichtungen. Die einfache Erklärung hierfür besteht darin, dass Juristen auf Drittmittel nicht angewiesen sind. Wenn eine solide Grundausstattung sowie eine einigermaßen komplette juristische Bibliothek zur Verfügung stehen, sind bereits die Voraussetzungen erfüllt, unter denen herausragende rechtswissenschaftliche Leistungen erbracht werden können. Juristen haben einen wesentlich geringeren Finanzbedarf als etwa Naturwissenschaftler, die ohne teure Geräte, Labormaterialien, Feldforschung im Ausland etc. überhaupt nicht sachgerecht arbeiten können. Dies macht Juristen übrigens zu idealen Kooperationspartnern. Sie tragen zur Einwerbung von Drittmitteln bei, verbrauchen davon aber wenig.

Hinzu kommt, dass die Drittmitteleinwerbung in rechtswissenschaftlichen Fachkreisen kein Erfolgskriterium darstellt. Für die fachliche Reputation sind vielmehr andere Kriterien maßgebend. Gewiss kommt dem Publikationsverzeichnis hierbei eine besonders hohe Bedeutung zu. Hierin unterscheidet sich die Rechtswissenschaft nicht von anderen Disziplinen. Darüber hinaus aber wird bei den Juristen vor allem auch darauf geachtet, zu welchen Rechtsgutachten und Prozessvertretungen der Betreffende herangezogen worden ist. Wenn jemand z. B. von der Bundesregierung oder einer Landesregierung mit einer Prozessvertretung beim Bundesverfassungsgericht oder vom Bundespräsidialamt oder einem großen Wirtschaftsunternehmen mit einer Gutachtenerstattung beauftragt wurde, dann ist dies für das Ansehen in der juristischen Zunft – und natürlich auch für das private Budget – wesentlich förderlicher als ein erfolgreicher Antrag auf die Einrichtung eines Sonderforschungsbereichs oder Graduiertenkollegs. Aus alledem folgt, dass die Drittmitteleinwerbung beim Rechtswissenschaftler nicht im Vordergrund steht, wobei die Dinge bei den Rechtshistorikern sowie den Strafrechtlern teilweise etwas anders liegen mögen.

Auch zusätzliche Stipendien oder Stellen für Doktoranden vermögen den Rechtswissenschaftler nur begrenzt aus der Reserve zu locken. Denn für ihn liefern Dissertationen – abweichend von den Verhältnissen in den Naturwissenschaften – in der Regel keine Erkenntnisse, die für seine eigene Forschungsarbeit unmittelbar weiterführend bzw. verwertbar sind. Drittmittelfinanzierte Stipendien oder Stellen für Doktoranden bedeuten für den Rechtswissenschaftler regelmäßig (unbezahlte) Mehrarbeit, die im allgemeinen Fachinteresse, nicht aber im Interesse eigener Forschung erbracht wird. Ein Rechtswissenschaftler kann nach alledem erfolgreich arbeiten und höchste Reputation erlangen, ohne irgendwelche Drittmittel eingeworben zu haben.

In neuerer Zeit ergeben sich freilich zunehmend Anhaltspunkte dafür, dass künftig eine Änderung eintreten könnte. Denn es lässt sich eine allgemeine Tendenz ausmachen, die universitäre Grundausstattung zugunsten einer Projektförderung abzusenken. Diese Tendenz führt auch bei Juristen zu einem verstärkten Interesse an Drittmitteln, was sich namentlich bei der jungen Generation von Rechtswissenschaftlern zeigt. Außerdem stellt das Aufkommen an Drittmitteln für das Ansehen (Ranking) der Universitäten und damit zugleich für den Erfolg der Wissenschaftspolitik eines Landes einen wichtigen Faktor dar. Die Universitätsleitungen sowie die Wissenschaftsministerien erwarten daher in wachsendem Maße, dass sich auch die Juristen tatkräftig an der Erhöhung des Drittmittelaufkommens ihrer Universität beteiligen. Auch dieser steigende Erwartungsdruck trägt dazu bei, dass die juristischen Fakultäten ihre notorische Drittmittelschwäche allmählich überwinden. Für die Zukunft ist jedenfalls davon auszugehen, dass sich der Rechtswissenschaftler nicht auf Dauer der – wie es gelegentlich ausgedrückt wird – „Verdrittmittelung der Forschung“ zu entziehen vermag.

4 Umweltschutzbezogene Kooperation an der Universität Trier

Nach diesen Einblicken in die speziellen Funktionsbedingungen sowie das Innenleben des rechtswissenschaftlichen Betriebs bedarf es einer Erklärung. Zu erklären ist, wie es in Trier gelingen konnte, dass seit einigen Jahren eine enge rechts- und naturwissenschaftliche Kooperation gepflegt wird. Ein Teil der Antwort besteht darin, dass die an der Kooperation beteiligten Rechtswissenschaftler dem Institut für Umwelt- und Technikrecht der Universität Trier angehören. Ein Institut ist in besonderem Maße auf die Unterstützung durch das zuständige Ministerium, die Universitätsleitung sowie durch die zentralen Universitätsgremien angewiesen. Diese betrachten ein juristisches Institut nicht bereits dann als leistungsstark und damit als unterstützungswürdig, wenn es unter Juristen eine hohe Anerkennung besitzt. Vielmehr legen sie die Maßstäbe an, die für entsprechende Einrichtungen anderer Fachrichtungen gelten, wobei zu diesen Maßstäben insbesondere auch die Drittmitteleinwerbung gehört. Wenn ein juristisches Institut heute überleben will, muss es daher seine Drittmittelfähigkeit, die außerhalb der juristischen Zunft als wesentliches Kompetenz- und Qualitätsmerkmal gilt, unter Beweis stellen.

Hinzu kommt allerdings auch ein nicht zu unterschätzender Sachgrund. Die umweltrechtlichen Normen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene sind durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe gekennzeichnet. So ist in den Normen z. B. von der Vermeidung wesentlicher Umweltbelastungen, von der erheblichen Beeinträchtigung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder auch von möglicherweise erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt die Rede. Bei der Klärung der Frage, ob bestimmte Umweltbelastungen wesentlich oder die von einem Infrastrukturprojekt, etwa einem Straßenbauvorhaben, ausgehenden Auswirkungen auf die Umwelt möglicherweise erheblich sind, kommt der Jurist ohne naturwissenschaftliche Unterstützung nicht aus. Daher haben sich die Rechtswissenschaftler in Trier an die Naturwissenschaftler mit der Frage gewandt, ob sie sich ein gemeinsames Forschungsprojekt vorstellen können. Den Rechtswissenschaftlern war zur damaligen Zeit allerdings noch nicht in vollem Umfang bewusst, dass die Naturwissenschaftler ungern bewerten. Die Naturwissenschaftler sehen ihre Aufgabe primär darin, zu untersuchen und zu beschreiben, was unter bestimmten Bedingungen geschieht. So werden beispielsweise die Umweltauswirkungen eines Infrastrukturprojekts von ihnen ermittelt, gemessen oder sonstwie quantifiziert. Wenn es aber um die Frage geht, ob die betreffenden Umweltauswirkungen wesentlich oder erheblich sind, spielen sie den Ball lieber an die Juristen zurück.

Ungeachtet dessen hat der seinerzeit unternommene Vorstoß der Juristen dazu geführt, dass nach mehrjähriger Vorbereitung, deren Dauer sich nicht zuletzt aus der Überwindung der geschilderten Schwierigkeiten rechts- und naturwissenschaftlicher Kooperation in der Anfangsphase erklärt, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ein Antrag auf die Einrichtung eines rechts- und naturwissenschaftlichen Graduiertenkollegs eingereicht worden ist. Das Trierer Graduiertenkolleg besteht seit dem Herbst 2006. Es trägt einen etwas sperrigen Titel, der allerdings das Projekt ziemlich präzise beschreibt. Dieser lautet: Verbesserung von Normsetzung und Normanwendung im integrierten Umweltschutz durch rechts- und naturwissenschaftliche Kooperation.

Das Graduiertenkolleg bietet eine besondere Gelegenheit, junge Rechts- und Naturwissenschaftler an die fachliche Kooperation heranzuführen. Den Nachwuchswissenschaftlern wird es ermöglicht, diese Kooperation schon früh zu erproben und einzuüben. Die hierbei gewonnenen Kenntnisse und Erfahrungen dürften ihnen beachtliche Chancen auf ihrem weiteren Berufsweg eröffnen. In Wirtschaftsunternehmen, in Verbänden sowie in der öffentlichen Verwaltung arbeiten Naturwissenschaftler und Juristen seit langem erfolgreich zusammen. Dies sollte auch im Bereich der universitären Forschung möglich sein.

Inzwischen konnte an der Universität Trier bereits ein zweites rechts- und naturwissenschaftliches Forschungsprojekt gestartet werden. Dieses Projekt ist dadurch gekennzeichnet, dass vornehmlich die Naturwissenschaftler Fragen an die Juristen richten. Es wird von der Forschungsinitiative Rheinland-Pfalz gefördert und trägt den Titel „Die Folgen des Global Change für Bioressourcen, Gesetzgebung und Standardsetzung“. Bei der Forschungsinitiative Rheinland-Pfalz handelt es sich um ein Förderungsprogramm der Landesregierung mit einem Gesamtvolumen von ca. 64 Mio. Euro, das bis Ende 2011 befristet ist (aber voraussichtlich unter Bereitstellung weiterer Mittel verlängert wird). Mit dem Programm verfolgt die Landesregierung das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der rheinland-pfälzischen Universitäten durch die Förderung von Spitzenforschung und wissenschaftlichem Nachwuchs namentlich im Hinblick auf die zweite Runde der Exzellenzinitiative zu stärken. Die Naturwissenschaftler befassen sich in dem Projekt der Forschungsinitiative mit den voraussichtlichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Schutzgebietskonzeption von Natura 2000 sowie die landwirtschaftliche Bodennutzung. Zugleich entwickeln sie Problemlösungsstrategien und Handlungsoptionen und unterbreiten entsprechende Vorschläge. Den Rechtswissenschaftlern obliegt hierbei die Aufgabe, diese Vorschläge auf ihre rechtliche Realisierbarkeit zu überprüfen.

5 Kooperationsbedarf im Bereich des Chemikalienrechts

Was das Graduiertenkolleg anbelangt, so gehört zu dessen wesentlichen Zielen die kooperative rechts- und naturwissenschaftliche Begriffsklärung im Umweltrecht. Hierbei geht es zunächst darum, die in den umweltrechtlichen Normen enthaltenen Begriffe mithilfe der Naturwissenschaften auszulegen. Sollten sich hierbei aufgrund der normtextlichen Begrifflichkeit besondere Schwierigkeiten oder Ungereimtheiten ergeben, soll im Wege der interdisziplinären Kooperation eine Begrifflichkeit erarbeitet werden, die sich sowohl aus rechtswissenschaftlicher wie aus naturwissenschaftlicher Sicht als fachgerecht erweist. Der Normgeber erhält hierdurch Hinweise, wie der bestehende Normtext verbessert werden kann.

Dies betrifft nicht nur das Naturschutzrecht, sondern insbesondere auch das Chemikalienrecht. Beim Chemikalienrecht geht es vor allem um den Stoffbegriff, dem beispielsweise in der vor wenigen Jahren auf europäischer Ebene erlassenen REACH-VOFootnote 3 eine grundlegende Bedeutung zukommt (Hendler et al. 2008). Da die Verordnung Rechtsfolgen daran knüpft, ob ein gleicher Stoff vorliegt, ist naturwissenschaftlich klärungsbedürftig, unter welchen Voraussetzungen Stoffidentität gegeben ist. Eine zentrale Frage besteht zudem darin, ob der Stoffbegriff die Nanomaterialien hinreichend abdeckt. Die Frage wird derzeit unterschiedlich beantwortet, was insofern nicht verwundert, als die naturwissenschaftliche Erforschung dieser Materialien bisher auffallend lückenhaft ist. Künftige verstärkte Forschung könnte näheren Aufschluss darüber erbringen, ob die nanoskaligen Stoffe einer Sonderregelung bedürfen und welchen Inhalt diese Regelung gegebenenfalls aufweisen sollte. Damit steht ein wesentliches Gestaltungsmerkmal der REACH-VO, nämlich die Einbeziehung der Nanomaterialien in den verordnungsrechtlichen Stoffbegriff, auf dem Prüfstand der rechts- und naturwissenschaftlichen Kooperation.

Auch (noch) neuere rechtliche Entwicklungen zeigen rechts- und naturwissenschaftlichen Kooperationsbedarf auf dem Gebiet des Chemikalienrechts an (Becker 2009). Dies betrifft das von den UN geschaffene Globally Harmonised System (GHS). Es geht hierbei um ein weltweit harmonisiertes Einstufungs- und Kennzeichnungssystem für das Inverkehrbringen und den Transport von Chemikalien. Das System gilt allerdings rechtlich nicht unmittelbar. Um Rechtsverbindlichkeit zu erlangen, bedarf es einer entsprechenden Umsetzung durch Staaten oder Staatengemeinschaften. Diese Umsetzung ist unlängst durch eine europarechtliche Verordnung erfolgt, die für alle Mitgliedstaaten der EU unmittelbar geltendes Recht schafft und am 20. Januar 2009 in Kraft getreten ist.Footnote 4 Die umfangreiche Verordnung regelt detailliert die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (früher Zubereitungen). Sie wird auch als CLP-Verordnung (Classification, Labelling, Packaging) bezeichnet. Von entscheidender praktischer Bedeutung ist die Einstufung (Classification). Diese richtet sich nach Art und Ausmaß der von den Stoffen bzw. Gemischen ausgehenden physikalischen, gesundheitlichen und ökologischen Gefahren. Es handelt sich bei der Einstufung um einen permanenten, vom Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft abhängigen Prozess.

Die Erfordernisse des Umweltschutzes haben entscheidend dazu beigetragen, dass sich Chemiker und Juristen fachlich näher gekommen sind. Dies ist unter anderem daran zu erkennen, dass an manchen Universitäten juristische Lehrveranstaltungen für Chemiker (sowie gegebenenfalls auch andere Naturwissenschaftler) angeboten werden. Seit einigen Jahren liegt sogar ein einschlägiges Lehrbuch vor, das seine Entstehung nicht zuletzt dem erheblichen Bedeutungszuwachs des Umweltschutzes verdankt (Hennecke 1997). Als Fazit kann nach alledem festgehalten werden: Der chemische Stoff bietet reichlich Stoff für ertragreiche rechts- und naturwissenschaftliche Kooperation.

Notes

  1. VGH Bad.-Württ., VBlBW 2006, 305 ff.

  2. VGH Bad.-Württ., VBlBW 2006, 305 (310).

  3. Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. 12. 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) […] (ABl.EU 2006 Nr. L 396, S. 1), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVO (EG) 552/2009 vom 22. 6. 2009 (ABl.EU 2009 Nr. L 164, S. 7).

  4. Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 12. 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen […] (ABl.EU 2008 Nr. L 353, S. 1).

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Hendler, R. Rechts- und naturwissenschaftliche Kooperation im Umweltrecht am Beispiel des Chemikalien- und Naturschutzrechts. Environ Sci Eur 22, 85–90 (2010). https://doi.org/10.1007/s12302-010-0122-9

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