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Beurteilung von Bodenkontaminationen mit Radioaktivität im Gebiet Hannover-List nach Maßstäben und Ansätzen der BBodSchV

Teil 1: Ableitung von Prüfwerten

Assessment of radioactive contaminations of the ground in Hanover-List with scales and methods of the German Federal Ordinance on Soil Protection and Contaminated Sites (BBodSchV). Part 1: Derivation of test thresholds

Zusammenfassung

Hintergrund und ZielIm hannoverschen Stadtteil List wurden am Standort einer früheren Chemiefabrik radioaktive Bodenkontaminationen mit natürlich vorkommenden Radionukliden gefunden. Aufgrund der in Deutschland fehlenden radiologischen Altlastenverordnung mussten diese Kontaminationen aus Gründen eines rechtssicheren Vollzugs von Anordnungen nach Maßstäben und Vorschriften des Bodenschutzrechtes bewertet werden. Vor diesem Hintergrund war es nötig, auf der Basis bodenschutzrechtlicher Methoden und Maßstäbe Grundlagen zur Bewertung radioaktiver Bodenkontaminationen abzuleiten.

Material und MethodenAusgehend von der Feststellung, dass Radioaktivität als kanzerogene Umweltnoxe betrachtet werden kann, wurden mit den methodischen Ansätzen der BBodSchV Prüfwerte für radioaktive Bodenkontaminationen auf Kinderspielplätzen, in Wohngebieten und für Park- und Freizeitflächen abgeleitet.

ErgebnisseFür die Beurteilung von radioaktiven Bodenkontaminationen mit natürlich vorkommenden Radionukliden ist der ausschlaggebende Pfad auf Kinderspielplätzen und in Wohngebieten die orale Bodenaufnahme. Für Kinderspielflächen ergibt sich aus den Maßstäben der BBodSchV ein Prüfwert von 0,2 Bq/g für die Summe U-238,max + Th-232,max. Auf Flächen mit ausschließlich wirksamer Direktstrahlung werden Prüfwerte von 0,5 µSv/h vorgeschlagen. Ein spezieller Pfad ist die Ausbreitung von Radon aus kontaminiertem Boden in Kellerräume. Unter Beachtung des Hintergrundniveaus werden 260 Bq/m³ als bodenschutzrechtlicher Prüfwert vorgeschlagen.

Schlussfolgerungen Weitere Fragen sind Teil 2 dieser Arbeit vorbehalten. Hier folgt eine kurze Zusammenfassung: Teil 2 der Arbeit zeigt, dass die in Teil 1 abgeleiteten Prüfwerte für radioaktive Bodenkontaminationen den Anforderungen der bodenschutzrechtlichen Berechnungsgrundlagen nach Plausibilität und Praktikabilität genügen. Die epidemiologischen Grundlagen für die Behandlung ionisierender Strahlung sind hinreichend fundiert, und die Prüfwerte berücksichtigen die regionalen Hintergrundwerte. Für die praktische Nutzung der Prüfwerte ist wesentlich, dass sie im Kontext bodenschutzrechtlicher Methoden der Probenahme und Untersuchung anzuwenden sind. Zur Ermittlung eines Maßnahmebedarfs sind die im Bodenschutz etablierten Verfahren wenig geeignet, da die Resorptionsverfügbarkeit von Radionukliden nicht praktikabel ermittelt werden kann. Aus diesem Grund wurde die Nutzung von anerkannten Berechnungsverfahren des Strahlenschutzes als Entscheidungshilfe erprobt und für anwendbar befunden. Offene Fragen gibt es noch bei der gemeinsamen Bewertung von Radioaktivität und anderen Umweltnoxen im Boden.

Abstract

Background, aim, and scopeIn the district List of Hanover (Lower Saxony) radioactive contaminations of the ground were detected at a site of a former chemical plant. Due to the lack of an ordinance regarding intervention regulations in the case of radioactive contaminations in Germany this situation had to be assessed on the basis of scales and methods of the German regulations concerning soil protection and contaminated sites. In particular it was necessary to develop methods and levels for the assessment of radioactive contaminations.

Materials and methodsBecause radioactivity can be considered as a carcinogenic substance the methodical approaches of the BBodSchV for this group of substances were used in order to derive test thresholds for radioactive contaminations at children’s play areas, residential areas as well as parks and recreation facilities.

ResultsFor the assessment of radioactive soil contaminations with naturally occurring radionuclides at children’s play areas and residential areas the ingestion of soil is the decisive pathway of exposure. For children’s play areas a threshold level of 0.2 Bq/g for the sum U-238,max + Th-232,max was obtained. At areas with only impacts of ambient radiation from the contaminated ground test thresholds of 0.5 µSv/h are recommended. A special pathway is the migration of radon from the contaminated soil into basement floors of buildings. Taking into account the natural background levels of radon a concentration of 260 Bq/m³ is suggested as a test threshold in the framework of soil protection benchmarks.

Discussion and conclusionswill be described in Part 2 of the paper.

1 Einleitung

Im hannoverschen Stadtteil List befand sich von 1861 bis 1902 die chemische Fabrik E. de Haën. In dieser Fabrik wurden anorganische Feinchemikalien, darunter auch Thorium- und Uranchemikalien, hergestellt. Nach Einstellung der Produktion an dieser Stelle wurden die Anlagen zurückgebaut und das Gebiet ab ca. 1930 mit Wohnbebauung neu erschlossen.

Im Sommer 2008 wurden durch Messungen des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz erhöhte Strahlenpegel im betreffenden Gebiet festgestellt. Die Erstuntersuchungen zeigten, dass auf dem ehemaligen Fabrikstandort sowohl auf öffentlich zugänglichen als auch auf privaten Freiflächen fleckenhaft radioaktive Bodenkontaminationen existieren. In einigen überprüften Hauskellern wurden signifikant erhöhte Radonkonzentrationen der Raumluft gemessen. Im Ergebnis dieser Befunde wurde eine Untersuchung veranlasst, mit der der Standort systematisch auf radioaktive und chemische Belastungen untersucht wurde. Im Ergebnis der Untersuchungen wurden Belastungen durch die radioaktiven Stoffe Uran, Radium, Thorium und Blei-210 (210Pb) sowie chemische Kontaminanten (insbesondere Arsen, Antimon und Blei) festgestellt.

Aufgrund der in Deutschland fehlenden radiologischen Altlastenverordnung mussten die radioaktiven Bodenkontaminationen aus Gründen eines rechtssicheren Vollzugs von Anordnungen nach Maßstäben und Vorschriften des Bodenschutzrechtes bewertet werden. Vor diesem Hintergrund war es nötig, auf der Basis bodenschutzrechtlicher Methoden und Maßstäbe Grundlagen zur Bewertung radioaktiver Bodenkontaminationen abzuleiten. Der vorliegende Artikel beschreibt die methodischen Ansätze und die damit erhaltenen Ergebnisse in Hinblick auf die Beurteilung der von radioaktiven Bodenkontaminationen ausgehenden Zustandsstörungen (Gefährdungen) nach den Maßstäben der deutschen Regelungen zum Bodenschutz und diskutiert abschließend die Frage der Bewertung von Mischkontaminationen aus radioaktiven und anderen kanzerogenen Stoffen.

2 Methodische Grundlagen

Prüfwerte dienen im Bodenschutz der Entscheidungsfindung, ob sich ein Verdacht auf das Vorliegen einer schädlichen Bodenveränderung erhärtet und die im Ergebnis einer orientierenden Untersuchung festgestellten schadstoffbedingten Bodenveränderungen einer einzelfallbezogenen Prüfung („Detailuntersuchung“) bedürfen, mit der das Vorliegen einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast abschließend beurteilt werden kann.

Die Methodik zur Ableitung von Prüfwerten für den Wirkungspfad Boden–Mensch nach BBodSchV ist von Bachmann et al. (1999) beschrieben worden. Danach werden Prüfwerte für einzelne Wirkpfade (oral, inhalativ, dermal) und einzelne Schadstoffe separat berechnet.

Den Prüfwerten für den Wirkungspfad Boden–Mensch liegen Expositionen zu Grunde, bei denen „im ungünstigsten Expositionsfall“ auf das Vorliegen einer Gefahr für das Schutzgut menschliche Gesundheit zu schließen ist. Je nach Zuverlässigkeit und Umfang der für die Expositionsabschätzung zur Verfügung stehenden Datenmenge wird bei der Ableitung von Prüfwerten für den „ungünstigsten Fall“ von einem hohen Perzentil der möglichen Expositionsbedingungen ausgegangen (Bachmann et al. 1999, S. 6).

Die Überprüfung von Bodenkontaminationen erfolgt durch den Vergleich von Messwerten einzelner Parameter mit den zugehörigen Einzelprüfwerten.

Bezogen auf radioaktive Stoffe ist eine Ableitung von Prüfwerten nach den Methoden der BBodSchV (Bachmann et al. 1999) möglich, da radioaktive Stoffe als kanzerogene Schadstoffe angesehen werden können, die nach oraler Aufnahme (Ingestion) oder inhalativer Aufnahme auf das Schutzgut „menschliche Gesundheit“ wirken. Diese Annahme entspricht den strahlenbiologischen Erkenntnissen auf denen der Strahlenschutz aufbaut, sodass vom Grundsatz her eine Ableitung von Prüfwerten für radioaktive Stoffe möglich ist. Zu beachten ist allerdings, dass sich radioaktive Kontaminationen in folgender Hinsicht von den sonstigen Bodenkontaminationen unterscheiden:

  • Die von radioaktiven Stoffen ausgehende ionisierende Strahlung wirkt als äußere Strahlenexposition („Direktstrahlung“) unmittelbar auf Personen ein.

  • Bei natürlichen Radionukliden bilden Zerfallsketten stets mehrere (chemisch verschiedene) Radionuklide. Bei der Bewertung von oraler Aufnahme (Bodeningestion) und Staubinhalation sind daher diese Gemische zu berücksichtigen.

  • Auch bei künstlichen Radionukliden können die Nuklidgemische im Sinne einer einheitlichen „Noxe“ verstanden werden, da der Wirkungsendpunkt aller Einzelsubstanzen(-nuklide) prinzipiell gleich ist.

  • In den radioaktiven Zerfallsreihen entsteht das radioaktive Edelgas Radon, das eine eigene Mobilität entwickelt und als selbständige Umweltnoxe wirksam ist.

3 Prüfwerte für den Wirkungspfad Boden–Mensch bei oraler Bodenaufnahme

Für die Ableitung von Prüf- und Maßnahmewerten im Bodenschutz (Bachmann et al. 1999) werden kanzerogene Stoffe als Stoffe ohne Wirkungsschwelle behandelt. Die tolerierbare resorbierbare Dosis (TRD) bezeichnet dabei die tägliche innere Belastung durch einen Schadstoff, die gerade noch zu tolerieren ist. Bei kanzerogenen Stoffen entspricht der TRD-Wert einer „akzeptierbaren“ Zunahme der Tumorinzidenz von 10–5 pro Lebenszeit.

Das aus einer Strahlenexposition resultierende Risiko von Personen, an Krebs zu erkranken und zu versterben, wird von der ICRP mit etwa 5,5 % pro Sievert (und Lebenszeit) beziffert (ICRP 103 2009). Für praktische Zwecke empfiehlt die ICRP allerdings, den genäherten und gerundeten Risikokoeffizienten für die Gesamtsterblichkeit von 5 % pro Sievert zu verwenden. Bezogen auf das akzeptierte Risiko im Bodenschutz sind bei einem Strahlenrisiko von 5 % pro Sievert zusätzliche Expositionen aus Bodenkontaminationen von 0,2 mSv pro Lebenszeit akzeptabel. Das ist ein Schutzniveau, das deutlich unter dem im Strahlenschutz üblichen Schutzniveau für Personen der Bevölkerung von 0,3 bis 1 mSv pro Jahr liegt.

Zur Ableitung von Prüfwerten im Bodenschutz wird allerdings nicht der TRD-Wert direkt zugrunde gelegt. Durch einen Gefahrenfaktor FGef wird ein gefahrenbezogenes Risiko ermittelt, das die Gefahren im Sinne des BBodSchG hinreichend wahrscheinlich erscheinen lässt (Bachmann et al. 1999). Als Gefahrenfaktor für kanzerogene Stoffe wird ein Wert von 5 angesetzt. Bei einem zusätzlichen und akzeptablen Krebsrisiko (ZRakz) von 10–5 pro Lebenszeit wird das gefahrenbezogene Risiko (GR) für einen Prüfwert berechnet als GR = ZRakz × 5 = 5 × 10–5 bzw. als Strahlenrisiko: 1 mSv pro Lebenszeit. Mit den Expositionsannahmen nach Bachmann et al. (1999) für den Belastungspfad Boden–Mensch im sensibelsten Nutzungsszenario „Kinderspielflächen“ ergeben sich formal folgende radiologische Prüfwerte von Bodenkontaminationen bei oraler Bodenaufnahme (Ingestion):

8 Jahre Expositionszeit, 120 g/a Bodenaufnahmerate;

PWIng,rad = (1 mSv/8 a)/120 g/a = 0,0010 mSv/g.

Dieser Prüfwert kann bei Kenntnis der Nuklidzusammensetzung einer Bodenkontamination in spezifische Aktivitäten umgerechnet werden. Die spezifische Bodenaktivität eines Prüfwertes errechnet sich dabei gemäß

aPW, ing(Bq/g) = PWIng,rad/DKing für den Wirkpfad orale Bodenaufnahme (Ingestion),

aPW, inh(Bq/g) = PWInh,rad/DKinh für den Wirkpfad inhalative Bodenaufnahme (Inhalation).

Hier sind DK Dosiskoeffizienten nach BglBb (2005) für die innere Strahlenexposition bei Ingestion (Index „ing“) oder Inhalation (Index „inh“). Die im Strahlenschutz verwendeten Dosiskoeffizienten für die innere Strahlenexposition charakterisieren die effektive Folgedosis über 50 Jahre bei einmaliger Aufnahme von Radionukliden und ordnen das zugehörige Risiko, an Krebs zu erkranken, dem Jahr der Aufnahme zu. Daher wird das Konzept der BBodSchV, das Lebenszeitrisiko zum Bewertungsmaßstab zu machen, durch die Dosiswerte nach Strahlenschutzkonzepten gut abgebildet.

Für ein Bodenmaterial mit einer Kontamination durch die U-238 Zerfallsreihe im radioaktiven Gleichgewicht („U-238sec“) beträgt der Dosiskoeffizient Ingestion für die Altersgruppe 2–7 Jahre unter Einrechnung der U-235-Reihe im natürlichen Verhältnis DKIng,U-238sec = 4,4 × 10–3 mSv/Bq; bei einer Kontamination durch die Th-232-Reihe DKIng,Th-232sec = 4,36 × 10–3 mSv/Bq.

Damit ergeben sich orientierende Prüfwerte nach den Ableitregeln der BBodSchV gemäß Bachmann et al. (1999). Nicht eingerechnet ist die äußere Strahlenexposition (Direktstrahlung) und eine mögliche Wirkung der Bodenkontamination durch Freisetzung von Radon (in Aufenthaltsräume hinein).

Bei der Nutzung dieser Prüfwerte ist aber zu beachten, dass radioaktive Kontaminationen mit natürlichen Radionukliden aus unterschiedlichen Anteilen beider Zerfallsreihen bestehen. Zur Bewertung, ob der Prüfwert eingehalten wird, ist daher der Summenwert der beiden Kontaminationskomponenten mit den jeweiligen spezifischen Aktivitäten CU-238sec + CTh-232sec die geeignetere Größe. Um die in die Ableitregeln nach BBodSchV nicht eingehende äußere Strahlenexposition zumindest tendenziell zu berücksichtigen, werden in den Prüfwerten für das Gemisch laut Tabelle 1 die Einzelwerte der oralen Aufnahme abgerundet. Die so erhaltenen Werte liegen deutlich über den Hintergrundwerten für das norddeutsche Tiefland, die bei etwa 0,017 Bq/g 238U und 0,022 Bq/g 232Th liegen (Harb 2004). Sie sind von daher als Prüfwerte anwendbar.

Tabelle 1 Formal nach Bachmann et al. (1999) abgeleitete Prüfwerte für die direkte Aufnahme von radioaktiv kontaminierten Böden auf Kinderspielflächen, in Wohngebieten sowie Park- und Freizeitanlagen. Bezugsmasse: TM

Die Direktstrahlung kann aber zumindest grundsätzlich bei der Ableitung von Prüfwerten berücksichtigt werden. Dazu sind in Tabelle 2 Konversionsfaktoren für die von radioaktiven Kontaminationen in den oberen Bodenschichten (0–0,35 m) ausgehende Direktstrahlung zusammengestellt. Nach den Daten der Tabelle 2 kann bei einer oberflächennahen und hinreichend dicken (ca. 0,3 m) Bodenkontamination von 0,2 Bq/g eines nicht näher definierten Gemisches der Uran- und Thoriumzerfallsreihe die terrestrische Komponente der Direktstrahlung, gemessen als Ortsdosisleistung ODL, mit einem Konversionsfaktor von ca. 0,6 µSv/h je Bq/g zu etwa 0,12 µSv/h (120 nSv/h) abgeschätzt werden. Die messbare ODL über einer solchen Fläche liegt wegen der kosmischen Komponente der Umgebungsstrahlung von ca. 0,035 µSv/h folglich bei etwa 0,15 µSv/h (150 nSv/h).

Tabelle 2 Konversionsfaktoren für die Umrechnung der Aktivität von Radionukliden im Boden in Umgebungsstrahlung (ODL)

Bei einem Aufenthalt von 480 h/a beträgt laut Bachmann et al. (1999) die äußere Strahlenexposition auf einer solchen Fläche 72 µSv. Von dieser Dosis sind in einer Region wie Hannover, in der die übliche Bodenstrahlung mit 0,06–0,10 µSv/h veranschlagt werden kann (hier angesetzter Bezugswert 0,08 µSv/h), etwa 34 µSv der Kontamination zuzuordnen. Die daraus resultierende effektive Jahresdosis für ein Kind der Altersgruppe 2–7 Jahre ist um den Faktor 0,7 geringer (BglBb 2005) und beträgt damit nur 24 µSv. Bei einem Bezugswert der kontaminationsbedingten effektiven Dosis für einen Prüfwert nach BBodSchV von 1 mSv pro 8 Jahren, also 125 µSv pro Jahr Aufenthalt auf den Spielflächen, ist der zusätzliche Anteil der Direktstrahlung, gemessen als effektive Dosis, also ca. 20 %. Bei der Festlegung von Prüfwerten sollten daher die formal aus der inneren Strahlenexposition berechneten Werte tendenziell abgerundet werden. Das wurde bei der Festlegung der Werte in Tabelle 1 berücksichtigt.

4 Prüfwerte für den Wirkungspfad Boden–Mensch bei inhalativer Schadstoffaufnahme

Das Konzept des gefahrenbezogenen Risikos wird nach Bachmann et al. (1999) auch zur Ableitung von Prüfwerten für die inhalative Bodenaufnahme über den Pfad Boden–Staub–Mensch herangezogen. Analog zu oralen Bodenaufnahmen erhält man mit den Expositionsannahmen aus Bachmann et al. (1999) mit einer Aufnahmerate von 0,082 mg/kg/d für den Belastungspfad Boden–Mensch im sensibelsten Nutzungsszenario „Kinderspielflächen“ (Kind mit 10 kg Körpergewicht) formal folgende radiologische Prüfwerte von Bodenkontaminationen bei inhalativer Bodenaufnahme (Inhalation):

8 Jahre Expositionszeit, 196,8 mg/a Bodenaufnahme; Anreicherungsfaktor 5:

PWInh,rad = (1 mSv/8 a)/(0,197 g/a)/5 = 0,13 mSv/g.

Auch dieser dosisbezogene Prüfwert kann bei Kenntnis der Nuklidzusammensetzung einer Bodenkontamination mit den Dosiskoeffizienten nach BglBb (2005) in spezifische Aktivitäten umgerechnet werden. Für ein Bodenmaterial mit einer Kontamination durch die U-238 Zerfallsreihe („U-238sec“) beträgt der Dosiskoeffizient Inhalation für die Altersgruppe 2–7 Jahre unter Einrechnung der U-235-Reihe im natürlichen Verhältnis DKInh,U-238sec = 0,084 mSv/Bq und DKInh,Th-232sec = 0,125 mSv/Bq.

Die mit diesem Ansatz berechneten Prüfwerte für inhalative Schadstoffaufnahmen sind in Tabelle 3 zusammengestellt.

Tabelle 3 Formal nach Bachmann et al. (1999) abgeleitete Prüfwerte für inhalative Schadstoffaufnahme von Böden mit Kontaminationen durch natürliche Radionuklide

5 Prüf- und Maßnahmewerte für äußere Strahlenexposition („perkutane Schadwirkung“)

Neben den oralen und inhalativen Schadstoffaufnahmen sind gemäß Bachmann et al. (1999) auch Wirkungen über die Haut zu beachten. Dabei kann für die in anorganischer Form vorliegenden Radionuklide von einer vernachlässigbaren Aufnahme über die Haut (perkutane Aufnahme) ausgegangen werden (Bachmann et al. 1999). Bei radioaktiven Stoffen ist allerdings zu beachten, dass die von diesen Stoffen ausgesandte ionisierende Strahlung von außen auf den Körper wirkt und daher eine perkutane Schadwirkung durch äußere Strahlenexposition auftreten kann. Die begleitende äußere Strahlenexposition bei oraler oder inhalativer Bodenaufnahmen wurde im Rahmen der Prüfwertableitungen in den vorhergehenden Kapiteln bereits berücksichtigt. Im Untersuchungsgebiet Hannover-List gibt es aber auch Freiflächen im öffentlichen oder öffentlich zugänglichen Bereich, auf denen es nicht zu einer oralen oder inhalativen Bodenaufnahme aus dem kontaminierten Boden kommen kann, da die Bodenoberfläche versiegelt ist (Pflaster, Asphalt, teilweise auch dünne Schotterdecke). An diesen Stellen wurde teilweise eine deutlich bis sehr deutlich erhöhte Umgebungsstrahlung (ODL) gemessen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, auch für Situationen, an denen eine orale oder inhalative Bodenaufnahme von untergeordneter Bedeutung ist, aber deutlich erhöhte Direktstrahlung vom Boden ausgeht, an Bewertungsmaßstäben des Bodenschutzes orientierte Prüfwerte abzuleiten.

Maßstab für einen Prüfwert nach Bodenschutzrecht ist wieder ein zusätzliches Krebsrisiko (ZRakz) von 10–5 pro Lebenszeit und ein gefahrenbezogenes Risiko (GR) von GR = ZRakz × 5 = 5 × 10–5 (s. o.). Nach Strahlenschutzkriterien entspricht das einer effektiven Dosis von 1 mSv pro Lebenszeit.

Im Unterschied zur oralen Bodenaufnahme kann aber bei externer Strahlung nicht davon ausgegangen werden, dass die Expositionszeit sich auf die Kindheit beschränkt. Bei einer rechnerischen Lebenszeit von 70 Jahren ergibt sich formal eine zusätzliche effektive Dosis durch Direktstrahlung von 14,3 µSv pro Jahr. Das entspricht bei einem Umrechnungsfaktor von Umgebungsäquivalentdosis in effektive Dosis von 0,6 (BglBb 2005, 1999) einer zu messenden Ortsdosis von 23,8 µSv pro Jahr. Diese Dosis ist klein in Relation zur Hintergrundstrahlung, die bei einer Aufenthaltszeit von 2000 h im Freien und einer ODL von 0,1 µSv/h mit etwa 200 µSv pro Jahr zu veranschlagen ist.

Eine zusätzliche Strahlenexposition durch Direktstrahlung ist deshalb nur dann gegeben, wenn

  • der auf die Messgröße ODL (in µSv/h) bezogene Wert deutlich über dem allgemeinen Strahlungsniveau liegt

und gleichzeitig

  • eine hinreichend lange Aufenthaltszeit für diesen Kontaminationsbereich realistischer Weise anzunehmen ist.

Als natürlicher Schwankungsbereich der Direktstrahlung ist ein Wertebereich bis zu 0,3 µSv/h (300 nSv/h) anzusetzen. Bis zu diesem Strahlungsniveau reicht die durch Baustoffe im Straßenbau üblicherweise bedingte Strahlung in vielen deutschen Städten, so auch in Hannover.

Die Berechnungsgrundlagen zur Prüfwertableitung (Bachmann et al. 1999) gehen von Aufenthaltszeiten von 240 d pro Jahr und täglichen Aufenthalten von 2 h auf Kinderspielflächen als den zu bewertenden Flächen aus. Für Wohngebiete oder Park- und Freizeitflächen wird der Prüfwert durch Faktoren von 2 (Wohngebiete) oder 5 (Park- und Freizeitflächen) pauschal abgemindert.

Bei der Festlegung einer Aufenthaltszeit für die hier zu bewertende Situation ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den kontaminierten Flächen um Gehwege oder Parkflächen handelt, die sich im öffentlichen Raum befinden. Diese Flächen sind als Einzelflächen relativ klein (wenige 10 m²). Sie stellen keine speziellen Nutzungsziele wie Kinderspielflächen dar und sind auch nicht als Flächen besonders intensiver Freizeitnutzung anzusehen. Sie können daher im Kontext der bodenrechtlichen Berechnungsverfahren am ehesten als „sonstige Freizeitflächen“ behandelt werden.

Geht man von den Szenarioannahmen „Kinderspielfläche“ aus und verringert die Aufenthaltszeit um den Faktor 5, dann erhält man 96 h. Da für einen Prüfwert nach Bodenschutzrecht zu fordern ist, dass es zum Überschreiten der o. g. Dosis von ca. 24 µSv pro Jahr kommen kann, entsprechen zusätzliche Dosisleistungen von

einem Prüfwertniveau in Anlehnung an die Maßstäbe der BBodSchV.

Mit einem „oberen Normalbereich“ von 0,3 µSv/h, wie er in deutschen Städten aufgrund der Straßenbeläge typischerweise auftritt, ergibt sich daraus ein Prüfwert von 0,55 µSv/h. Da dieser Wert nur eine Orientierung geben kann, wird zur Vereinfachung der Anwendung vorgeschlagen, als Prüfwert der externen Strahlenexposition den Wert von 0,5 µSv/h (500 nSv/h) zu benutzen. Dieser Wert charakterisiert eine Gefahrenschwelle im Sinne der bodenschutzrechtlichen Bewertungsmaßstäbe für die hier betrachteten kleinräumigen Bodenkontaminationen im öffentlichen Raum. Bei großflächigen Kontaminationen, auf denen längere Aufenthaltszeiten realistischerweise unterstellt werden müssen, sind ggf. niedrigere Prüfwerte zu benutzen.

Da dieser Prüfwert nur auf wenigen Annahmen aufbaut, können relativ einfach die Bedingungen ausgewiesen werden, bei denen die tatsächlichen Einwirkungen unter Beachtung von sonstigen beurteilungserheblichen Tatsachen eine Überschreitung der Risikoschwelle generell erwarten lassen.

Legt man eine ODL von 1 µSv/h (1000 nSv/h) als Bezugswert zugrunde, so genügen 24 h Aufenthalt auf einem solchen Ort, um nach bodenschutzrechtlichen Maßstäben die Gefahrenschwelle zu erreichen. Diese Aufenthaltszeit entspricht bei gewohnheitsmäßigen Verhaltensweisen von Personen einem täglichen Aufenthalt von ca. 4 min auf einer kleineren Fläche. Eine solche geringe Aufenthaltszeit ist auch auf kleineren Flächen in einem Wohngebiet realistisch anzusetzen. Bei einem Überschreiten dieser ODL kann daher berechtigterweise davon ausgegangen werden, dass eine Gefahrensituation im Sinne des Bodenschutzes vorliegt. Die ODL von 1 µSv/h (1000 nSv/h) kann daher als Maßnahmewert für ausschließlich äußere Strahlenexposition angesehen werden.

6 Sonderfall: Radon in Kellern

Messungen im Untersuchungsgebiet zeigten, dass sowohl in Böden (Bodenluft) als auch in Kellern z. T. Radonkonzentrationen auftraten, die verglichen mit dem regionalen Hintergrund deutlich erhöht waren. Als Ursache dieser Konzentrationserhöhung kam nur die Bodenkontamination infrage. In den Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung von Prüfwerten nach BBodSchV (Bachmann et al. 1999) wird für eine solche Situation die inhalative Schadstoffaufnahme über die Raumluft im Szenario Wohngebiet diskutiert. Dabei wird – auch durch Auswertung von Radonuntersuchungen an Gebäuden – darauf hingewiesen, dass der Transfer Boden–Gebäude nur mit sehr großen Unsicherheiten eingeschätzt werden kann. Da im vorliegenden Fall neben Messwerten der Bodenluft auch Messwerte von Radon im Keller der Gebäude existierten, wurde die in Bachmann et al. (1999) eingeführte gefahrenbezogene Luftkonzentration als realitätsnähere Größe der Gefahrenbeurteilung herangezogen.

Die gefahrenbezogene Luftkonzentration Ca für kanzerogene Stoffe bezieht sich nach Bachmann et al. (1999) auf eine Konzentration, bei der bei lebenslangem Wohnen in einem solchen Gebäude das zusätzliche Krebsrisiko den akzeptierten Wert (ZRakz) von 10–5 nicht übersteigt. Mit dem Gefahrenfaktor 5 entspricht das einer Radonkonzentration, die zu einer effektiven Dosis von 1 mSv pro Lebenszeit führt.

Für Radon mit Folgeprodukten gilt bei einem Dosiskonversionskoeffizienten für Personen der Bevölkerung von 6,1E-6 mSv h–1/(Bq m³) und einem Gleichgewichtsfaktor von 0,4 als Umrechnungsfaktor zwischen Exposition, gemessen als Radonkonzentration × Einwirkzeit (Einheit: MBq/m³ × h)

1 mSv = 410.000 Bq h/m³

Bei einer jährlichen Aufenthaltszeit von 100 h im Keller und einer Lebenszeit von 70 Jahren (Aufenthaltszeit total 7.000 Stunden) entspricht 1 mSv folglich einer mittleren gefahrenbezogenen Luftkonzentration von Radon von 410.000/7.000 ≈ 60 Bq/m³.

Dieser Wert liegt für sich genommen im natürlichen Hintergrundniveau der Radonkonzentrationen in Gebäuden. Um darauf aufbauend einen praktikablen Prüfwert festzulegen, ist das für Kellerräume akzeptable Hintergrundniveau von Radon einzurechnen. Legt man in Kenntnis zahlreicher Vorschläge zur Begrenzung der Strahlenexposition durch Radon den in einer EU-Empfehlung (90/143/EURATOM 1990) vorgeschlagenen „Planungswert“ von 200 Bq/m³ Radon für neue Gebäude als Maßstab eines akzeptablen Hintergrundes für Radon in Kellern zugrunde, dann ergibt sich als Prüfwert für eine gefahrenbezogene Luftkonzentration von Radon in Kellern der in Tabelle 3 aufgeführte Wert von 260 Bq/m³. Aus einem Vergleich mit strahlenschutzrechtlichen Beurteilungswerten folgt, dass dieser Wert als Prüfwert plausibel und kompatibel mit den Regelungen im Strahlenschutz ist. Er ist außerdem auch durch standorttypische Werte von Radonkonzentrationen im Boden zu begründen.

Literatur

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    Google Scholar 

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  • ICRP 103 (2009) Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP) von 2007. Deutsche Ausgabe herausgegeben von Bundesamt für Strahlenschutz (elektronische Veröffentlichung ohne Erscheinungsort)

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Danksagung

Die vorliegende Arbeit entstand aus den von der Region Hannover geleiteten und finanzierten Untersuchungen an radiologischen Altlasten im Stadtgebiet Hannover. Für die zahlreichen Anregungen, die uns bei dieser Untersuchung von vielen Beteiligten zugingen, möchten wir uns hiermit bedanken. Besonderer Dank geht an den Leiter des Teams Gesundheit der Region Hannover, Herrn Dr. Behrends, für seine kritischen Hinweise und Diskussionen.

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Gellermann, R., Günther, P. & Evers, B. Beurteilung von Bodenkontaminationen mit Radioaktivität im Gebiet Hannover-List nach Maßstäben und Ansätzen der BBodSchV. Environ Sci Eur 22, 116–122 (2010). https://doi.org/10.1007/s12302-010-0120-y

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