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  • GDCh-FACHGRUPPE UMWELTCHEMIE UND ÖKOTOXIKOLOGIE • CORNER
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Bewertungsmaßstäbe zur Beurteilung von Schadstoffbelastungen in Böden anhand der Bioverfügbarkeit

Zielstellung des Verbundvorhabens BioRefine

Assessment of contaminated soils based on availability/bioavailability of contaminants – BioRefine

Zusammenfassung

Die Beurteilung kontaminierter Böden erfolgt gegenwärtig schutzgut- und pfadbezogen vorwiegend auf der Grundlage der Untersuchung von Gesamtgehalten. Eine Gefährdungsabschätzung auf der Basis von Gesamtgehalten der Schadstoffe spiegelt aufgrund der Adsorption an die Bodenmatrix sowie durch die Bildung gebundener Rückstände („bound residues“) nicht das tatsächliche Risiko wider. Eine Gesamtbeurteilung unter Einbeziehung verfügbarer/bioverfügbarer Schadstoffgehalte ermöglicht eine Harmonisierung der schutzgutbezogenen Bewertung und eine realitätsnahe Risikobewertung für den einzelnen Standort.

Abstract

Until now, assessment of contaminated sites is based on variable protection goals, whereby total contents and in part mobile contents are considered. Due to interactions of pollutants in soil and bound residues, total contents do not reflect the actual risk. In contrast an investigation based on availability/bioavailability of contaminants would enable a harmonization of the protection-goal-based evaluation and a closer-to-reality risk assessment for the individual location.

1 Einleitung

Zum Flächenmanagement und Brachflächenrecycling liegen zahlreiche Arbeitshilfen, Merkblätter, Tools und Softwareanwendungen vor, die jedoch die Verfügbarkeit/Bioverfügbarkeit von Schadstoffen in die Bewertung von Flächen nicht mit einbeziehen und zur Beurteilung kontaminierter Flächen unterschiedlichen Kontaminationsursprungs kaum standortspezifische, realitätsnahe Aussagen zulassen (ITVA 1998; Gruner et al. 2003).

In der Vergangenheit wurden häufig Flächenaufbereitungen für jegliche Art der Folgenutzung durchgeführt, die wirtschaftlich nicht vertretbar und in Abhängigkeit von der tatsächlich realisierten Folgenutzung nicht notwendig gewesen wären (Meißner 2005).

Für die Praxis sind Entscheidungshilfen für Planungsvorhaben, die die Entwicklungspotenziale der Brachflächen mit Altlastverdacht aufzeigen, dringend erforderlich. Die Entwicklungsplanungen und Entscheidungen zur Flächennutzung werden in der Regel auf kommunaler Ebene getroffen, sodass die Kommunen und die Akteure auf dem Brachflächenmarkt als Adressaten für einen systematischen Bewertungsansatz zu sehen sind.

2 Zielstellung des Verbundvorhabens BioRefine

Ziel des Verbundvorhabens „Bewertung von Schadstoffen im Flächenrecycling und nachhaltigen Flächenmanagement auf der Basis der Verfügbarkeit/Bioverfügbarkeit (BioRefine)“ ist es, Bewertungsmethoden und Bewertungsmaßstäbe auf der Basis der Verfügbarkeit/Bioverfügbarkeit der Schadstoffe in Böden zu erarbeiten und Einsparpotenziale bei Flächenaufbereitungen aufzuzeigen. Das Verbundvorhaben liefert durch eine Optimierung der nutzungsbezogenen Sanierung einen Beitrag zur Kostensenkung.

Im Ergebnis des Verbundvorhabens wird eine Handlungsanleitung erarbeitet, die, basierend auf den Ergebnissen von BioRefine, allen interessierten Kreisen den fachlichen Hintergrund des Ansatzes der Verfügbarkeit/Bioverfügbarkeit im Flächenmanagement nachvollziehbar aufzeigt und wirtschaftliche, verallgemeinerungsfähige Umnutzungen beispielhaft darstellt.

3 Grundlage der Bioverfügbarkeit von Schadstoffen in Böden

Die Puffer-, Transformations- und Speicherfunktionen von Böden sorgen für eine Bindung von Schadstoffen an die Bodenmatrix und verringern die für eine Wirkung in Organismen verfügbaren Gehalte. Die Interaktion zwischen Schadstoff und biologischem System wird neben der Bodenmatrix und den Stoffeigenschaften in hohem Maße von der Biologie der exponierten Organismen sowie den klimatischen Bedingungen vor Ort beeinflusst.

In E DIN ISO 17402 (2007) wird die Bioverfügbarkeit als der „Grad, bis zu dem Chemikalien im Boden durch menschliche oder ökologische Rezeptoren absorbiert oder metabolisiert werden oder für den Austausch zwischen biologischen Systemen zur Verfügung stehen“ definiert (E DIN ISO 17402 (2007), S. 10). Die Bioverfügbarkeit ist somit vom spezifischen Zielorganismus sowie von spezifischen Kontaminanten abhängig und schließt folgende Aspekte ein: Expositionszeit, Transfer der Schadstoffe von Boden in Organismen, Akkumulation der Schadstoffe in Zielorganismen und die anschließende Wirkung der Schadstoffe (E DIN ISO 17402 (2007), Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Ökotoxikologische Bioverfügbarkeit in Böden (A: Schadstoffinteraktionen zwischen verschiedenen Phasen, B und C: Massentransport zum Organismus, D: Passage durch die physiologische Membran) und die toxikologische oder metabolische Bioverfügbarkeit (E: Verteilung im Organismus, Metabolisierung, Akkumulation im Zielorgan, Toxokinetik und toxische Effekte). (In Anlehnung an NRC (2002) und E DIN ISO 17402 (2007))

Bei der Gesamtbetrachtung der Bioverfügbarkeit ist nach Harmsen (2007) zwischen folgenden Gehalten an Schadstoffen zu unterscheiden:

  • Gesamtgehalte oder nichtverfügbare Fraktion,

  • potenziell verfügbare Fraktion und

  • aktuell verfügbare Fraktion.

Die Verfügbarkeit/Bioverfügbarkeit von Schadstoffen in Böden kann zum einen durch biologische Tests und zum anderen durch chemische Methoden, die nur den verfügbaren/bioverfügbaren Schadstoffanteil erfassen, messtechnisch ermittelt werden.

4 Untersuchungsstrategie

Die verfügbaren/bioverfügbaren Schadstoffanteile werden mittels spezifischer Extraktionsverfahren und chemischer Analytik sowie über toxikologische bzw. ökotoxikologische Testmethoden untersucht (Abschn. 5).

Die Modellflächen werden anhand der Bioverfügbarkeit bewertet und vergleichend der konventionellen Vorgehensweise (ohne Betrachtung der Bioverfügbarkeit) nach Bundesbodenschutz- und Altlastenverordnung (BBodSchV) gegenübergestellt. Auf Grundlage dieser integrierten Gefahrenbeurteilung werden anschließend Nutzungsszenarien und mögliche Sanierungsmaßnahmen abgeleitet und Einsparpotenziale aufgezeigt. Neben der konkreten Anwendung auf den Modellflächen erfolgt eine Verallgemeinerung der Erkenntnisse in Form einer Handlungsanleitung, die den Ansatz der Bioverfügbarkeit bei der Gefährdungsabschätzung fachlich nachvollziehbar darlegt und die einzelnen Schritte zur Umsetzung und Finanzierung von Nachnutzungen auf kontaminierten Liegenschaften beschreibt.

5 Methodenspektrum zur Untersuchung von Böden in BioRefine

In BioRefine werden weitgehend Methoden eingesetzt, die bereits standardisiert und validiert worden sind. Im Wirkungspfad Boden–Mensch wird die ingestive und perkutane Resorptionsverfügbarkeit in die Gefährdungsabschätzung der betrachteten Flächen aufgenommen. Zur Ermittlung der Rückhaltefunktion und zur Betrachtung des Wirkungspfades Boden–Grundwasser werden Bodeneluate in Säulen- und Schüttelversuchen (Perkolations- und Batch-Tests) hergestellt, deren ökotoxikologisches Potenzial mithilfe von aquatischen Tests überprüft wird. Zur Bestimmung der Lebensraumfunktion finden ökotoxikologische Tests mit Bodenorganismen unterschiedlicher Trophiestufen statt.

Eine wesentliche verfahrensinnovative Komponente von BioRefine besteht in der Entwicklung und Standardisierung der 3-Phasen-Extraktion. Die 3-Phasen-Extraktion spiegelt den verfügbaren Schadstoffanteil wider. Der Boden wird hierbei mit Wasser und einem Feststoff (Adsorberharze wie XAD und Tenax bzw. Cyclodextrinderivate) extrahiert (3-Phasen). Der Feststoff adsorbiert die sich nachlösenden Schadstoffe, die quantifiziert werden. Damit ist es möglich, aufwendige Abbautests auf ein Minimum zu beschränken.

Das Methodenspektrum zur Durchführung der Untersuchungen ist pfadabhängig in Abb. 2 abgebildet.

Abb. 2
figure 2

Untersuchungen zur Bioverfügbarkeit/Verfügbarkeit von Schadstoffen (Nestler et al. 2008)

6 Untersuchungsergebnisse

Für die Untersuchungen wurden folgende Modellflächen ausgewählt: eine innerstädtische Industriebrache, eine ehemals industriell genutzte Fläche sowie zwei früher militärisch genutzte Flächen.

Die Modellflächen wurden zunächst entsprechend den Anforderungen der BBodSchV untersucht und bewertet. Es handelt sich vorwiegend um schwachlehmige bis reine Sandböden mit einem Humusgehalt von 0,4 bis ca. 11 %. Die Hauptkontaminanten sind Mineralölkohlenwasserstoffe (MKW) und polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK). Die Feststoffgehalte liegen in einem Bereich von 20 mg/kg bis 600 mg/kg PAK (Industrieflächen) und 2500 mg/kg und 5200 mg/kg MKW (ehemalige militärisch genutzte Flächen, Tabelle 1).

Tabelle 1 Ergebnisse der PAK/MKW Standortböden (Auswahl)

Zur Bewertung der Rückhaltefunktion und der Austräge organischer Schadstoffe über den Pfad Boden–Grundwasser wurden die Bodenproben in Säulenversuchen (Perkolationsverfahren) nach DIN 19528 eluiert. Die PAK-Konzentrationen lagen in den Eluaten zwischen 0,7 und 5,9 µg/l. Sowohl im Leuchtbakterientest als auch im Algentest zeigten die Schadstoffe aus den Bodeneluaten keine negativen Wirkungen auf die untersuchten aquatischen Stellvertreterorganismen. Auch in den MKW-belasteten Proben war eine Mobilisierung durch die Säulenelution kaum nachweisbar.

Die Bioverfügbarkeit der Schadstoffe im Wirkungspfad Boden–Bodenorganismen wurde anhand von Organismen unterschiedlicher Trophiestufen geprüft. Die Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede in der Toxizität der untersuchten Flächen. Im Gegensatz zu den PAK-belasteten Flächen ist bei den MKW-belasteten Flächen eine Einschränkung der Lebensraumfunktion zu verzeichnen. Dabei korreliert das Ausmaß der Toxizität nicht mit den Gesamtschadstoffgehalten, was die Bedeutung einer Bewertung auf Basis der Bioverfügbarkeit unterstreicht.

Im Rahmen der Erprobung der 3-Phasen-Extraktion wurden drei 3-Phasen-Elutionsverfahren (Tenax-Methode, XADFootnote 1-Methode, CyclodextrinFootnote 2-Methode) sowie die Persulfat-Oxidationsmethode getestet. Es erwies sich eine Extraktion mit Tenax bzw. mit β-Hydroxy-Cyclodextrin als geeignet. Ein Vergleich mit dem aeroben Bodenabbau in Anlehnung an die Richtlinie OECD 307, der noch nicht abgeschlossen ist, wird die jeweiligen Stärken und Einsatzbereiche der beiden letztgenannten Methoden liefern und zu einer Empfehlung führen.

Für den Belastungspfad Boden–Mensch ist bei der oralen Aufnahme schadstoffkontaminierter Bodenpartikel, neben dem Schadstoffgehalt, die Schadstoffresorption und damit letztlich die Bioverfügbarkeit dieser Stoffe von ausschlaggebender Bedeutung für eine Gesundheitsgefährdung. Die Simulation der Digestion (Verdauung) mit kontaminiertem Bodenmaterial wurde nach DIN 19738 durchgeführt. Als Resorptionsverfügbarkeit wird der prozentuale Übergang eines organischen Stoffes von der festen Probe in die wässrige Phase des Testsystems definiert. Bezugsgröße ist der durch erschöpfende Flüssig-flüssig-Extraktion und anschließende Analyse gemessene Gesamtgehalt der Stoffe in der festen Probe. Die Ergebnisse zur Resoptionsverfügbarkeit zeigen für Benzo[a]pyren (BAP) als Leitkomponente für die PAK eine Mobilisierung zwischen 2,7 und 12 %. Aufgrund ihrer größeren Wasserlöslichkeit und ihres geringeren Sorptionsvermögens lassen sich die MKW mit 10 bis 35 % signifikant leichter mobilisieren als die PAK, wobei hier eine höhere Mobilisierung bei der ehemals militärisch genutzten Fläche gegenüber der ehemals industriell genutzten Fläche zu beobachten ist.

7 Schlussfolgerung und Übertragbarkeit

Die PAKs sind aus den Bodenproben nur geringfügig mobilisierbar und verfügen kaum über eine biologisch wirksame Komponente. Die MKW-belasteten Böden hingegen zeigen hohe Resorptionsverfügbarkeiten und wirken auf Bodenorganismen toxisch. Die unterschiedlichen Ergebnisse belegen die Notwendigkeit der Überprüfung der Bioverfügbarkeit zur Beurteilung von Schadstoffbelastungen und helfen somit, die realen Gefährdungsmomente im Rahmen der Einzelfallentscheidung effektiver einschätzen zu können.

Die untersuchten Böden der Liegenschaften haben ein wesentlich geringeres Gefährdungspotenzial als auf Basis der Gesamtgehalte der Schadstoffe zu vermuten ist.

Damit wären kostenintensive Bodensanierungen nicht notwendig und vielfältigere Nachnutzungen, bei gleichzeitiger Verringerung der Entwicklungskosten, möglich.

Die Übertragbarkeit der Ergebnisse wird durch die Erstellung einer Handlungsanleitung gewährleistet werden. Diese soll den Vollzugsbehörden die Sachverhaltsermittlung erleichtern, insbesondere unter dem Aspekt der Reduzierung der Flächeninanspruchnahme von unbelasteten Flächen für Siedlung und Verkehr sowie die Entscheidung über ein Wiederinverkehrbringen belasteter Flächen beschleunigen. Hierbei werden auch die Randbedingungen und Grenzen, unter denen eine Bewertung der Fläche auf der Basis der Bioverfügbarkeit möglich ist, ausführlich dargestellt.

Notes

  1. Tenax und XAD: Polymerische Adsorberharze mit definierter Oberfläche und Porengröße, die den im Wasser gelösten Schadstoffen eine Adsorptionsfläche bieten.

  2. Cyclodextrin: Zyklische Oligosaccharide mit einer toroidalen Struktur und einem zentralen Hohlraum, die Einschlussverbindungen mit den apolaren Schadstoffmolekülen bilden.

Literatur

  • DIN ISO 17402 Normentwurf (2007) Bodenbeschaffenheit – Anleitung zur Auswahl und Anwendung von Verfahren für die Bewertung der Bioverfügbarkeit von Kontaminanten im Boden und in Bodenmaterialien. Beuth Verlag GmbH, Berlin

  • Gruner G, Kerl U, Werner W (2003) Fachinstrumente Flächenrecycling. Kostenermittlung für Flächenaufbereitung – KONUS. Forschungsbericht (FKZ 200 77 252) im Auftrag des Umweltbundesamtes. Erich Schmidt, Berlin

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  • Harmsen J (2007) Measuring bioavailability: from scientific approach to standard methods. J Environ Qual 36:1420–1428

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  • Meißner T (2005) Kommunaler Leitfaden für ein intelligentes Brachflächenmanagement. Fachhochschule Nordhausen

  • Nestler A, Terytze K, Wagner R, Hund-Rinke K, Derz K, Rotard W, Macholz R (2008) Bewertung von Schadstoffen im Flächenrecycling und nachhaltigen Flächenmanagement auf der Basis der Verfügbarkeit/Bioverfügbarkeit (BioRefine) – Ein Verbundprojekt stellt sich vor. Bodenschutz 1:17–23

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  • NRC (2002) National Research Council. Bioavailability of contaminants in soils and sediments: processes, tools, and applications. National Academies Press, Washington

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Correspondence to K. Terytze.

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Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um ein Manuskript auf Basis des prämierten Posterbeitrages für die GDCh-FG-Jahrestagung 2009.

Verantwortlicher Herausgeber: Klaus Fischer

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Terytze, K., Wagner, R., Vogel, I. et al. Bewertungsmaßstäbe zur Beurteilung von Schadstoffbelastungen in Böden anhand der Bioverfügbarkeit. Environ Sci Eur 22, 63–67 (2010). https://doi.org/10.1007/s12302-010-0109-6

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