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  • NEUE REGELUNGEN FÜR ZULASSUNG UND GEBRAUCH VON PESTIZIDEN
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Das neue EU-Pestizidrecht: Chance und Herausforderung für eine Minimierung von Pestizidrisiken in der konventionellen Landwirtschaft

The new European pesticide legislation – a challenge for minimizing pesticide residues in conventional agriculture

Zusammenfassung

Das Ausmaß der mit dem Pestizideinsatz in Zusammenhang gebrachten Probleme und das Bewusstsein hierüber wächst in Europa. Die neue europäische Pestizidgesetzgebung bietet nun die Chance, den Umwelt- und Verbraucherschutz deutlich zu stärken. Die überarbeitete Pestizidzulassung soll mit der Einführung der vergleichenden Bewertung eine dynamische Risikoreduktion induzieren. Verbindliche nationale Aktionspläne in allen EU-Mitgliedsstaaten sollen, mit konkreten Zielen und Zeitplänen ausgestattet, ebenfalls eine Reduktion der Risiken und eine Reduktion der Intensitäten des Pestizideinsatzes herbeiführen. Ob und wann spürbare Verbesserungen für Verbraucher und Umwelt eintreten werden, ist – wie so oft – abhängig von wichtigen Detailfragen der Ausgestaltung und von dem Engagement der Regierungen und der Interessengruppen, die Implementierung konsequent und zügig voranzutreiben.

Abstract

The scale of problems caused by pesticides in Europe and the awareness about this is growing. The new European pesticide legislation implies a chance to strengthen the protection of the environment and consumers health. The revised pesticide authorization regulation implements the concept of comparative assessment in order to induce dynamic risk reduction. Mandatory national action plans for member states have to provide clear targets and timetables for the reduction of pesticide risk and use intensity. If and when serious improvements for consumer and the environment become perceptible depends on relevant details on how to implement the legislation into practice and on the engagement of governments and stakeholder to work on an efficient implementation.

1 Einleitung und Problemstellung

Die politische Forderung einer Pestizidreduktion in Europa wird bereits seit vielen Jahren erhoben. Der intensive Einsatz von Agrochemikalien führt zu Belastungen von Umwelt und Gesundheit, die, und dies ist entscheidend, vielfach vermeidbar wären. Hinzu kommen stetig neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu den nachteiligen Effekten und den Langzeitfolgen durch Expositionen mit umweltrelevanten Pestizidkonzentrationen. Beispielhaft sei auf die Risiken durch hormonell wirkende Pestizide oder auf die Assoziation zwischen Pestiziden und Parkinson (Frigerio et al. 2006) hingewiesen. Zudem ist das Bewusstsein gestiegen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie Schwangere oder Kleinkinder, empfindlicher auf Noxen reagieren als andere. Viele dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse werden nicht oder erst unzureichend in der prospektiven Risikoabschätzung staatlicher Entscheidungsverfahren berücksichtigt. Die Abschätzung ökosystemarer Folgen ist aufgrund der Komplexität des Schutzgutes noch problematischer. Der Verlust an biologischer Vielfalt – sichtbar u. a. am Rückgang bestimmter Vogelpopulationen – durch den intensiven Einsatz von Agrochemikalien lässt sich nur schwer abschätzen. Die externen Kosten des Pestizideinsatzes, die bislang von der Gesellschaft getragen werden müssen, sind erheblich. Beispielsweise fanden 38 % der deutschen Trinkwasserversorger Pflanzenschutzmittelrückstände oder deren Metaboliten in den Grund- und Oberflächengewässern der Einzugsgebiete ihrer Gewinnungsanlagen. Diese müssen mit aufwändigen Aufbereitungstechniken für die Trinkwasserversorgung entfernt werden (DVGW 2006).

Umweltschutzorganisationen fordern seit langem eine auf Minimierung und Substitution ausgerichtete Pestizidpolitik in der EU. Der Europäische Rat und das Europäische Parlament formulierten dies bereits 1993 im 5. Umweltaktionsprogramm der EU (European Community 1993). Das Ziel einer „beträchtlichen“ Reduktion bis 2002 wurde nicht erreicht. Im Gegenteil, obwohl neuere Mittel in immer geringeren Aufwandmengen eingesetzt werden, sind die abgesetzten Wirkstoffmengen annähernd konstant geblieben. Nach den aktuellsten Daten der europäischen Statistikbehörde werden in der EU (EU-25) rund 220.000 t Pestizidwirkstoffe vermarktet (EUROSTAT 2007). Der Inlandsabsatz in Deutschland stieg seit 2003 um rund 5000 t auf 40.744 t im Jahr 2007 (BVL 2008). Ebenso stabil blieben die nachgewiesenen Pestizidrückstände in Lebensmitteln. 48 % der untersuchten Proben in der EU enthalten Pestizidrückstände, darunter 4,7 % Proben mit Überschreitungen der festgelegten Rückstandshöchstmengen (Commission of European Communities 2008). Drastisch gestiegen ist der Anteil an Mehrfachrückständen. Waren es 1998 noch 13,7 %, enthalten mittlerweile 26,7 % der untersuchten Proben mehr als ein Pestizid. Sechs der zehn am häufigsten in Lebensmitteln nachgewiesenen Pestizide werden als krebserregend, reproduktionstoxisch oder als hormonell wirksam klassifiziert (PAN Europe 2008a). Bei bestimmten Pestizidproduktkombinationen kann die erlaubte Höchstmenge oder der reale Rückstand den toxikologischen Schwellenwerten sehr nahe kommen oder sie sogar übersteigen, z. B. die akute Referenzdosis bei Kindern, sodass akute Gesundheitsgefährdungen bestehen (PAN Europe 2008b). Zudem werden mögliche Kombinationswirkungen bei der Abschätzung von Höchstmengen und Grenzwerten nur unzureichend berücksichtigt.

2 Die neuen Bewertungskonzepte in der Pestizidzulassung

Die derzeitigen Regelungen sind nicht ausreichend, durch Maßnahmen und Anreize die Abhängigkeit der konventionellen Landwirtschaft von Pestiziden zu senken und eine Risikominderung zu erreichen. Das 6. Umweltaktionsprogramm sieht mit Priorität die „signifikante“ Senkung des Einsatzes von Pestiziden bis 2012 vor und schlug vor, eine neue Pestizidpolitik in der EU im Rahmen einer thematischen Strategie zu entwickeln (European Community 2002). Resultat sind die voraussichtlich im November 2009 in Kraft tretenden Pestizidgesetze.

2.1 Einführung von Ausschlusskriterien

In Zukunft dürfen Pestizide mit bestimmten intrinsischen Eigenschaften nicht mehr verwendet werden (Cut-off-Eigenschaften), es sei denn, die Exposition ist vernachlässigbar, z. B. dadurch, dass die Pestizide in einem geschlossenen System angewendet werden. Da die neue Regelung nicht die aktuell gültigen Zulassungen berührt, werden mehr als zehn Jahre vergehen, bis alle sogenannten Cut-off-Pestizide vom Markt verbannt sind. Unter strengen Auflagen können die Mitgliedsstaaten Ausnahmegenehmigungen für maximal fünf weitere Jahre beantragen, müssen aber gleichzeitig ein Konzept vorlegen, wie das Problem fehlender Alternativen gelöst werden soll. Das BMELV (2009) veröffentlichte auf seiner Website eine Liste der Cut-off-Wirkstoffe, die in Deutschland derzeit in zugelassenen Mitteln enthalten sind. Das Bundesministerium benennt darin 18 Wirkstoffe in 73 Mitteln: Aclonifen, Bifenthrin, Carbendazim, Epoxiconazol, Esfenvalerat, Flusilazol, Flumioxazin, Glufosinat, Ioxynil, Iprodion, Mancozeb, Maneb, Metaflumizone, Metconazol, Pendimethalin, Quinoxyfen, Tebuconazol, und Tepraloxydim. Es sind Wirkstoffe, die als kanzerogen, reproduktionstoxisch, mutagen oder als hormonell wirksam klassifiziert werden oder ein Gefährdungspotenzial für die Umwelt aufweisen (sogenannte POP, PBT, vPvB-Stoffe)Footnote 1.

Bis zum Schluss war besonders das Ausschlusskriterium der hormonellen Wirksamkeit sehr umstritten. Die Begründung: Es gäbe noch keine einheitlichen Test-, Beurteilungs-, und Klassifizierungsverfahren für endokrine Stoffe. Diese Diskussion hat letztlich zu einem konkreten Zeitplan geführt. In der Zulassungsverordnung wird eine Frist von vier Jahren gesetzt, innerhalb derer ein harmonisiertes Klassifizierungsverfahren für hormonell wirkende Pestizide implementiert werden muss. Bis dahin werden Ersatzkriterien benutzt: die Kombination von kanzerogener und reproduktionstoxischer Eigenschaft (der Klasse 3) oder reproduktionstoxische Stoffe (der Klasse 3), bei denen in toxikologischen Studien eine endokrine Wirkung nachgewiesen werden konnte.

2.2 Einführung des Substitutionsprinzips

Neu ist auch die Einführung des Substitutionsprinzips. Es sollen besonders problematische Pestizidwirkstoffe identifiziert werden, sogenannte Substitutionskandidaten. Das Intervall der Überprüfung dieser Stoffe wird von zehn auf sieben Jahre heruntergesetzt. Die Mitgliedstaaten haben bei der Produktzulassung in einer vergleichenden Bewertung zu prüfen, ob unbedenklichere Alternativen zur Verfügung stehen. Es ist zu erwarten, dass es in den folgenden Jahren einen umfassenden Diskurs darüber geben wird, welche Wirkstoffe als Substitutionskandidaten gelistet werden sollen. Zwar bietet der Anhang II der Verordnung einen Kriterienkatalog an, der aber in einigen Punkten einen recht großen Spielraum für Interpretationen lässt. Zum Beispiel, wann bei kritischen Effekten wie Entwicklungsneurotoxizität oder -immuntoxizität trotz restriktiver Risikomanagementmaßnahmen Anlass zur Besorgnis besteht. PAN International und Greenpeace Deutschland haben aktuelle Listen solcher besonders bedenklichen Pestizide veröffentlicht (Greenpeace 2008; PAN International 2009). Aus Sicht des Umwelt- und Verbraucherschutzes besteht die Hoffnung, dass mit dem Konzept der vergleichenden Bewertung ein Innovationsschub in Richtung Alternativenentwicklung, auch für nicht-chemische Alternativen, einsetzt, um diese problematischen Stoffe bzw. die entsprechenden Pestizidprodukte schrittweise aber zeitnah zu ersetzen.

3 Regelungen der Pestizidanwendung – erstmals EU-harmonisiert

Die Festlegung entsprechender Ziele und Zeitpläne sollte aus Sicht von PAN ein Element des „Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ darstellen. Die verpflichtende Umsetzung nationaler Aktionspläne (NAPs), die konkrete Reduktionsziele festlegen sowie die verpflichtende Anwendung des integrierten Pflanzenschutzmanagements (IPM) in der Landwirtschaft ab 2014 stellen die beiden zentralen Elemente der neuen EU-Rahmenrichtlinie zum nachhaltigen Einsatz von Pestiziden dar. Feldversuche des Julius-Kühn-Instituts belegen, dass, je nach Kulturarten variierend, deutliche Reduzierungen des Pestizideinsatzes bis zu einem Drittel möglich sind (Rodemann et al. 2008).

Das Prinzip „soviel wie nötig, so wenig wie möglich“ schont nicht nur Gesundheit und Umwelt, sondern auch den Geldbeutel der Landwirte, so der Grundgedanke der Rahmenrichtlinie. Was aber ist das „notwendige Maß“ im Pflanzenschutz? Die seit 2000 durchgeführten Datenerhebungen des Julius-Kühn-Instituts in dem Forschungsprogramm NEPTUNFootnote 2 belegen, dass für viele Anbaukulturen eine zum Teil erhebliche Spannbreite bei der Intensität von Pestizidanwendungen in derselben Boden-Klima-Region vorliegt. Im Rahmen des deutschen NAP sollen diese Erhebungen als Grundlage für die Ermittlung des „notwendigen Maßes“ herangezogen werden.

3.1 Beispiele nationaler Aktionspläne

Vorreiter des NAP-Konzepts sind einzelne Staaten wie Dänemark, Schweden oder die Niederlande, die bereits seit den 1980er-Jahren politische Programme zur Pestizidreduktion aufgelegt haben. Dänemarks Landwirte wenden nur rund halb soviel Pestizide an wie noch 1985, das dänische Gemüse ist sechsmal weniger mit Pestizidrückständen belastet als entsprechende Importprodukte, und die Gewässerqualität hat sich wesentlich verbessert (PAN Europe 2007). In den vergangenen Jahren haben Frankreich, Belgien, Großbritannien und Deutschland nachgezogen und ihre eigenen Aktionspläne entwickelt. Im französischen Programm „Ecophyto2018“ von 2008 soll eine Halbierung der Pflanzenschutzanwendung bis 2018 durch die Förderung alternativer Pflanzenschutzverfahren erreicht werden. Zudem werden insgesamt 40 problematische Wirkstoffe bis 2010 unter der Voraussetzung verfügbarer Alternativen verboten. In Belgien sollen 50 % der Pestizidrisiken bis 2010 bezogen auf das Berechnungsjahr 2001 reduziert werden, wobei auch der nicht-agrarische Bereich miteinbezogen wird. In der nächsten geplanten Phase des dänischen NAPs für den Zeitraum 2010–2015 sollen Pufferzonen (z. B. Uferrandstreifen) mit einer Fläche auf insgesamt 50.000 ha entstehen und der biologische Anbau auf 300.000 ha Agrarfläche ausgeweitet werden.

3.2 Der deutsche Aktionsplan

Deutschland hatte 2004 mit dem „Reduktionsprogramm chemischer Pflanzenschutz“ einen umfassenden Maßnahmenkatalog vorgelegt, der von der letzten Regierung überarbeitet wurde (jetzt „Nationaler Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“) (BMELV 2008). PAN kritisiert das Fehlen von konkreten Zielen, Zeitplänen und geeigneten Indikatoren und schlägt unter anderem vor, als quantitatives Ziel eine Reduktion der Einsatzintensität, auf der Basis des allgemein akzeptierten Behandlungsindex, um 30 % in fünf Jahren festzulegen sowie weitere Ziele und Maßnahmen: u. a. die Reduktion von Rückstandshöchstmengenüberschreitungen in heimischen und importierten Lebensmitteln auf weniger als 1 % in fünf Jahren, den kontinuierlichen Ausbau des biologischen Anbaus, die Festlegung von Pufferflächen zu Gewässern und Habitaten zum Schutz der biologischen Vielfalt sowie um andere spezifische Gebiete wie Parks, Krankenhäuser und Kindergärten. Eine weitere wichtige Frage betrifft die Umsetzung und die Kontrolle pestizidreduzierender Maßnahmen im integrierten Pflanzenschutz. Nach der EU-Rahmenrichtlinie sollen nur generelle Standards ab 2014 verbindlich werden. Aus Sicht von PAN ist eine erfolgreiche Implementierung im Sinne von Einsatz- und Risikoreduktion ohne konkrete Richtlinien, Training und Kontrollen zu kultur- und sektorenspezifischen Verfahren im integrierten Pflanzenschutz nicht zu erwarten (PAN Germany/NABU 2008; PAN Germany/Greenpeace/NABU 2009).

Notes

  1. POP: Persistent Organic Pollutant, PBT: persistente, bioakkumulative und toxische Stoffe, vPvB: stark persistente und stark bioakkumulative Stoffe.

  2. NEPTUN = Netzwerk zur Ermittlung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes in unterschiedlichen Naturräumen Deutschlands ─ ein Programm des Instituts für integrierten Pflanzenschutz des JKI, Berichte der Datenerhebungen unter: http://www.jki.bund.de/cln_045/nn_921038/DE/Home/koordinieren/neptun/neptun__node.html__nnn=true.

Literatur

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  • BMELV (2009) Neue rechtliche Regelungen für Pflanzenschutzmittel auf EU-Ebene. BMELV-Homepage http://www.bmelv.de/cln_045/nn_751174/DE/04-Landwirtschaft/Pflanzenschutz/Aktuelles/Pflanzenschutzmittel.html__nnn=true (26. Januar 2009)

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Correspondence to S. Smolka.

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Im Rahmen der Beitragsserie „Regulatorische Ökotoxikologie“, Hrsg. Tobias Frische, Jan Ahlers, Bettina Hitzfeld.

Verantwortlicher Herausgeber: Henning Friege

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Smolka, S. Das neue EU-Pestizidrecht: Chance und Herausforderung für eine Minimierung von Pestizidrisiken in der konventionellen Landwirtschaft. Environ Sci Eur 21, 490–493 (2009). https://doi.org/10.1007/s12302-009-0096-7

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